Friedrich Kaiser (1815-1881), Einzug in Lörrach unter der Führung von Gustav Struve am 20. April 1848

1848 in Baden, im Deutschen Bund, in der Schweiz und Frankreich

In der Nähe des Dorfes Eigenbrakel in der Provinz Wallonisch-Brabant (Brabant wallon, Belgien) steht der Löwe von Waterloo. Das Denkmal wurde von König Wilhelm I. (1772-1843) des Vereinigten Königreichs der Niederlande in Auftrag gegeben. Belgien gehörte bis 1831 zu diesem Königreich. Das Denkmal erinnert an die letzte Schlacht (18. Juni 1815) der Alliierten gegen Napoleon.

Nach dem Wiener Kongress (1814-1815) schienen der Frieden und das Ancien Régime wiederhergestellt zu sein. Die Heilige Allianz zwischen Österreich, Russland und Preussen (geschlossen am 26. September 1815) sorgte für Ordnung und erstickte revolutionäre und demokratische Bewegungen im Keim.

Der österreichische Aussenminister Klemens von Metternich (1779-1859) war bis 1848 die treibende Kraft hinter diesem Bündnis. Von Metternich spielte auch eine Rolle im Deutschen Bund und bei der Zensur und politischen Unterdrückung in den deutschen Staaten.

Er war auch ein Befürworter einer militärischen Intervention in der seiner Meinung nach zu demokratischen und liberalen Schweizerischen Eidgenossenschaft. Nicht nur flüchteten Tausende von politischen Gegnern aus den europäischen Monarchien in die Schweiz, er misstraute auch den liberalen Bewegungen und der Demokratie in mehreren Kantonen.

Insbesondere das Veto Englands und die Revolutionen im eigenen Land verhinderten ein Eingreifen im Sonderbundskrieg von 1847 und in der „Neuenburger Krise“ von 1848.

Der Friede kehrte jedoch nicht zurück, weder in der Schweiz noch im Deutschen Bund (einem Bund von 34 souveränen Königreichen, Fürstentümern und Herzogtümern sowie 4 freien Städten, der am 8. Juni 1815 vom Wiener Kongress gegründet wurde) und auch nicht in Frankreich (und zahlreichen anderen Ländern).

Das Revolutionsjahr 1848

Das Dreiländermuseum in Lörrach (Baden-Württemberg) widmet dieser Zeit eine Ausstellung („Der Ruf nach Freiheit-Revolution 1848/49 und heute“). Die Ausstellung konzentriert sich auf die Entwicklungen in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland mit dem Revolutionsjahr 1848 als Leitfaden und dem Grossherzogtum Baden, dem Königreich Preussen und dem Deutschen Bund als Hauptakteure.

Sammlung: Dreiländermuseum in Lörrach

Der Dreiländerpunkt und das Museum sind ein geeigneter Ort, um diese Ereignisse in einer vergleichenden Perspektive zu beleuchten. Diese Region war ein Laboratorium für politische Experimente. Die Industrialisierung, mit Mulhouse und Basel als wichtigen Industriestädten, hatte bereits Bürger- und Arbeiterbewegungen hervorgebracht, die den Ruf nach politischen und sozialen Reformen begründeten.

Die Perspektive konzentriert sich auf die angestrebten verfassungsrechtlichen und demokratischen Veränderungen vor dem Hintergrund der Industrialisierung und des Hungers und der Armut in den  Industriestädten.

Karte des Deutschen Bundes (1815-1866)

1830

Das Bürgertum in den Staaten des Deutschen Bundes beanspruchte nach 1830 seinen Platz im politischen System. Diese Anpassungen gingen auf Kosten der Macht der (lokalen) Könige, Fürsten und Herzöge in den 34 deutschen Staaten. Während 1830 die nationale Einheit und soziale Fragen noch eine untergeordnete Rolle spielten, waren diese 1848 auch Hauptthemen der Reformer.

Im zentralistischen Frankreich waren die Forderungen dieselben, nur dass Paris das Zentrum war und die Einheit bereits Realität war. Der Aufstand der Bourgeoisie führte im Juli 1830 zur Absetzung von König Karl X. (1757-1836). Louis Philippe (1773-1850) wurde neuer König, um 1848 selbst abgesetzt zu werden. Während es sich 1830 noch hauptsächlich um eine bürgerliche Revolte handelte, war es 1848 eine Revolution der Arbeiter und des Bürgertums.

In der Schweiz sind die „Regeneration„, die Verfassungsänderungen in 11 liberalen Kantonen und die Spaltung des Kantons Basel 1830-1833 wichtige Schwerpunkte. Die Situation in der Schweiz war von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Die Macht des (wiederhergestellten) Ancien Régime in den (alten) Kantonen, die Modernisierung und die Macht auf föderaler Ebene waren die wichtigsten Diskussionspunkte.

Die Eidgenossenschaft hatte jahrhundertelang als lockerer Zusammenschluss souveräner Kantone existiert. Die Eidgenossenschaft stand nicht zur Diskussion, wohl aber die Kompetenzen des Bundes.

Links: Die Situation in Frankreich, das Palais Bourbon (Sitz des Parlaments 1848), Mitte: Die Situation in der Deutschen Eidgenossenschaft und die Pauluskirche in Frankfurt.

Das Parlament in Frankfurt

Das Parlament des Deutschen Bundes trat am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Pauluskirche zum ersten Mal zusammen. Die Fürsten der 34 deutschen Staaten erkannten dieses Parlament zunächst aus Furcht vor einer Revolution an. Das Parlament setzte sich grösstenteils aus gemässigten Liberalen und Konservativen aus den 38 Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes zusammen. Sie suchten den Dialog und den Kompromiss mit den Fürsten. Ihr Ziel war die Einigung der Staaten des Deutschen Bundes und eine konstitutionelle Monarchie mit dem preussischen König als Kaiser.

Republikanische Fahne von 1848 

Im Dezember 1848 garantierte das Parlament die Grundrechte der Bürger, und im Mai 1849 wurde die erste Verfassung des vereinigten Deutschlands mit Grundrechten für die Bürger und dem allgemeinen Männerwahlrecht Wirklichkeit. Das Frankfurter Experiment endete im Mai 1849 mit einer militärischen Intervention, Strassenkämpfen, Todesurteilen und der Wiederherstellung des Ancien Régime. Truppen der Staaten des Deutschen Bundes unter Führung des Königs von Preussen griffen militärisch ein und lösten das Parlament auf.

Die Badische Verfassung von 1818

Baden und der Deutsche Bund

Das Grossherzogtum Baden war bereits 1818 ein liberaler Vorreiter, nicht nur im Deutschen Bund, sondern auch gegenüber den anderen Ländern. Baden trug daher den Namen „Liberales Musterland“ und spielte auch 1848 eine Vorreiterrolle.

Die Nähe zu Frankreich und damit die Französische Revolution von 1789 sowie die Kontakte zur Schweizerischen Eidgenossenschaft spielten eine Rolle. Auch im relativ liberalen Baden organisierten die Bürger am 27. Mai 1832 (Hambacher Fest) und am 11. Juni 1832 (Badenweiler Fest) Kundgebungen für mehr Freiheit und Demokratie. Die deutsche Einheit spielte zu dieser Zeit noch eine untergeordnete Rolle. Der Liberale Karl von Rotteck (1775-1840) formulierte es am 11. Juni 1832 so: „Lieber Freiheit ohne Einheit, als Einheit ohne Freiheit“.

Bernhard von Neher (1806-1886), um 1848. Friedrich Hecker und Gustav Struve (wahrscheinlich). Museum der Stadt Schopfheim

Nach vorangegangenen militärischen Niederlagen riefen Aufständische unter Führung von Friedrich Hecker (1811-1881) am 26. April 1848 auf der damaligen Schusterinsel die deutsche Republik aus. Diese ehemalige Insel lag im Rhein zwischen Baden, der Schweiz und Frankreich. Die militärische Niederlage am 27. April gegen Truppen anderer deutscher Staaten unter Führung des Königs von Preußen beendete diese Republik jedoch schnell.

 Hieronymus Hess (1799-1850), Ausrufung der Deutschen Republik auf der Schusterinsel (heute verschwunden) bei Weil am Rhein am 26. April 1848.

Das Parlament des Deutschen Bundes tagte bereits seit Mai 1848, wollte aber keine Republik. Die badischen Revolutionäre wollten jedoch eine deutsche Republik, und Gustav Struve (1805-1870) rief sie am 21. September 1848 in Lörrach mit der Parole „Wohlstand, Bildung, Freiheit für Alle“ aus.

Ludwig von Elliot in der Illustrierte Leipziger Zeitung, Einzug von Gustav Struve am 21. September 1848 in Lörrach

Altes Rathaus Lörrach

Sammlung: Dreiländermuseum Lörrach

Diesmal war der Aufstand militärisch und politisch besser vorbereitet. Ausserdem unterstützte ein grosser Teil der badischen Bürger und Arbeiter diese Bewegung. Doch auch dieser Aufstand war zum Scheitern verurteilt und endete am 24. September 1848 mit einer Niederlage. Unter anderem dank des Eisenbahntransports konnten truppen des Deutschen Bundes schnell nach Baden verlegt werden, um den Aufstand niederzuschlagen.

Der letzte bewaffnete Aufstand fand im Jahr 1849 statt. Unmittelbarer Anlass war der militärische Widerstand der deutschen Fürsten gegen das Parlament in Frankfurt. Die badischen Bürger und Militärs akzeptierten diese Einmischung unter der Führung des Königs von Preussen nicht. Auch dieser Aufstand wurde im Juli niedergeschlagen. Der Grossherzog kehrte daraufhin nach einem kurzen Exil zurück. Die Schweiz wurde zum Exilort für viele liberale Politiker und Revolutionäre aus Baden und anderen deutschen Staaten.

Epilog

Was die Schweiz von Frankreich und Deutschland unterscheidet, sind die Folgen dieser Bürgerkriege. In der Schweiz gab es keine Todesurteile oder Verfolgung von Sonderbundmitgliedern, sondern Dialog, Versöhnung, Kompromiss und Pragmatismus. Es geschah nicht von ganzem Herzen, vor allem in den Kantonen des Sonderbundes, aber die Verfassung von 1848 war die Grundlage für die weitere Demokratisierung in den Jahren 1874 und 1891 bis zum heutigen Tag.

In Frankreich und Deutschland war dafür kein Platz, dafür gab es Verfolgung von politischen Gegnern, die (von neuem erfolgende) Einführung autoritärer Systeme, Reparationen und Zensur.

Liestal, Denkmal für Georg Herwegh (1817-1875)

Liestal, der Hauptort des 1833 als Abspaltung vom Kanton Basel-Stadt entstandenen Kantons Basel-Landschaft, ist laut dessen letztem Willen („in freier Schweizer Erde“) die Ruhestätte von Georg Herwegh (1817-1875). Er war einer der Rädelsführer des bewaffneten Aufstandes in Baden. Liestal war die Wiege des bewaffneten Aufstandes gegen das Ancien Régime in Basel-Stadt im Jahr 1831.

Die Ausstellung blickt nicht nur zurück, sondern auch in die Gegenwart und in die Zukunft. Im Zentrum stehen aktuelle Themen und Selbstreflexion, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Jugend und ihre Wahrnehmung von Demokratie und Freiheit gelegt wird.

 

Impressionen von der Ausstellung

Schlussfolgerung

Die Zeit von 1847 bis 1849 ist für die aktuelle Verfassungsgestaltung in diesen Nachbarländern immer noch von grosser Bedeutung. In der Schweiz gibt es eine grosse Kontinuität von 1848 bis heute. In Frankreich und Deutschland gibt es keine. Die Grundlagen der heutigen Verfassungen waren jedoch bereits 1848 vorhanden.

Das damalige Grossherzogtum Baden hatte sogar schon 1818 eine relativ liberale Verfassung, gefolgt von der liberalen Verfassung des Deutschen Bundes im Jahr 1849. Bürger- und später vor allem Arbeiterbewegungen drängten schon damals auf Demokratisierung, Freiheiten und Grundrechte.

Baden war zwar radikaler als andere deutsche Staaten in den Jahren 1848 und 1849, symbolisierte aber das Engagement der meisten deutschen Staaten zu dieser Zeit. Die deutsche Verfassung hat nach mehreren Tiefpunkten im 20. Jahrhundert nach 1945 und  mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 ein solides Fundament erhalten.

Frankreich hat seit 1815 fünf Republiken und noch mehr Verfassungen erlebt, und es ist fraglich, ob es die Ziellinie schon erreicht hat. Aber auch hier sind Demokratie, Grundrechte und Freiheit heute fest in der Verfassung verankert.

Die Unterschiedlichkeit der politischen Kulturen und der Verfassungsgeschichte dieser drei Länder fällt am meisten auf, obwohl die Forderungen nach mehr Freiheit, Demokratisierung und Grundrechten die gleichen waren.

Man kann sich daher fragen, wie eine wirksame Verfassung auf europäischer Ebene gestaltet werden kann, wenn drei Nachbarländer mit Deutsch und Französisch als Hauptsprachen bereits so unterschiedliche politische Kulturen und Bezugspunkte haben.

(Quelle und weitere Informationen: Dreiländermuseum in Lörrach)

Korrektorin: Giuanna Egger-Maissen