Fête de Vignerons 2019, Vevey (Vaud). Photo/Bild: TES.

Der Röstigraben und die französischsprachige und deutschsprachige Schweiz

Die 26 Kantone der Schweiz haben sich schon immer durch religiöse, sprachliche und wirtschaftliche Eigenheiten unterschieden.

Nach 1848 (und nach dem Sonderbundskrieg von 1847) ist Religion jedoch kein Gegenstand seriöser politischer Auseinandersetzungen mehr.

Die Sprachgrenzen sind aber eine Trennlinie, vor allem zwischen der Romandie (sechs (meist) französischsprachige Westschweizer Kantone) und den (meist) deutschsprachigen Kantonen.

Der Erste Weltkrieg wurde zu einer besonderen Zeit der Spannungen zwischen diesen beiden Regionen.

Die Ursachen lagen bei verschiedenen Vorfällen, wie zum Beispiel die Ernennung des deutschsprachigen Generals Ulrich Wille (1848-1925) durch das Parlament, sowie unterschiedliche Spionage-Angelegenheiten.

Die Romandie sympathisierte vor allem mit der Entente (Frankreich, England, Russland, Belgien), die Deutschschweiz stand auf der Seite von Deutschland und Österreich-Hungarn. Der „Graben“ war geboren.

Erst später wurde der Röstigraben zum Begriff. Die Saane (Sarine) bei Freiburg (Fribourg) ist oft die (symbolische) Trennlinie.  Der deutschsprachige Schriftsteller Carl Spitteler (1845-1925) gehörte 1914 zu den beruhigenden Stimmen. Auch aus der Romandie kamen versöhnende Ansichten. Das ist einer der Gründe, warum es nicht zu einem Bruch kam.

Doch der Generalstreik vom November 1918, geboren aus Unzufriedenheit, Armut und dem Einfluss von Revolutionen in anderen Ländern, brachte den französisch- und deutschsprachigen Eliten die Versöhnung.

So wurden beispielsweise französischsprachige Soldaten aus dem Kanton Waadt im deutschsprachigen Grenchen (Kanton Solothurn) eingesetzt, um den Streik zu brechen. Als Zeichen der Dankbarkeit gewährte die Stadt Des Amis Vaudois eine grosszügige Prämie.

Der Röstigraben war jedoch noch nicht verschwunden. Dies wurde mit dem Beitritt der Schweiz zum Völkerbund deutlich.

Die deutschsprachigen Kantone und Bürger waren weit weniger begeistert von der Idee als die Romandie. Auch die Ablehnung der EU 1992 verlief ähnlich, obwohl sich die französischsprachigen Bürgerinnen und -bürger auch in der zweiten Volksabstimmung 2001 dagegen aussprachen. Auch der UNO-Beitritt im Jahr 2002 war eine Wiederholung.

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs waren sich beide Regionen jedoch in ihrer Unterstützung für die Alliierten einig. Dazu trug sicherlich auch die Ernennung des französischsprachigen Generals Henri Guisan (1874-1960) bei.

Heute liegen die politischen Trennlinien nicht mehr so sehr entlang des Röstigrabens, sondern vielmehr in einem „Graben“ zwischen ländlichen und städtischen Gebieten beider Regionen. Es bedeutet nicht, dass es keine „Graben“ mehr gibt.

Die verschiedenen Sprachregionen sind trotz ihrer Eigenheiten alle Teil der Schweiz. Übrigens sind auch die deutsch- und französischsprachigen Kantone keine Einheit. Darauf deuten schon die vielen deutschen Dialekte (Schweizerdeutsch) hin.

Den Röstigraben gibt es zwar noch, aber es gilt in vielen Bereichen Uniformität, was teilweise auf die Globalisierung zurückzuführen ist.

Die Sprache als Ausdrucksmittel und Medium bleibt aber ein Zeichen der Unterscheidung.

Eine Trennung in der Schweiz gibt es also nicht und Rösti wird heute auch in der Romandie gerne gegessen.