Carlo Borer, Sleeping with the Gods, Kulturstiftung Basel H. Geiger | KBH.G.. Foto/Photo: TES.

Kennen Sie diese Tiere: Psephurus gladius (Schwertstör 2019), Diceros bicornis longipes (Westafrikanisches Spitzmaulnashorn 2011), Ectopistes migratorius (Wandertaube 1914), Porphyrio albus (Lord-Howe-Purpurhuhn 1834), Thylacinus cynocephalus (Beutelwolf 1936), Hydrodamalis gigas (Stellers Seekuh 1768), Coregonus gutturosus (Bodensee-Kilch 1970), Raphus cucullatus (Dodo 1690),  Lagorchestes leporides (Östliches Hasenkänguru 1890), Lipotes vexillifer (Chinesische Flussdelfin 2002) und Equus quagga quagga (Quagga) ?

Wahrscheinlich nicht. Sie sind seit dem 17. Jahrhundert ausgestorben.

Der Künstler Carlo Borer(1961) präsentiert in der Kulturstiftung Basel H. Geiger | KBH.G raumfüllende Installationen unter dem Titel Sleeping with the Gods. Die Installationen und organischen Formen symbolisieren Meilensteinen auf der Zeitleiste der Evolutionsgeschichte, aus Daten der Bevölkerungsentwicklung der Erde und aus der dramatischen Regression der Artenvielfalt im Tierreich.

Die Entwicklung der Menschheit

Die Entwicklung der Menschheit, das Tempo, in welchem der Mensch sich auf der Erde ausbreitet und die Skrupellosigkeit, mit der er sie ausbeutet, treibt den Künstler um. Andererseits ist er vom technologischen Fortschritt und den damit verbundenen Entwicklungen fasziniert. Sie dienen ihm als Grundlage für seine Arbeit, in welcher er aus wissenschaftlichen Daten Kunstkörper schafft.

Das Hauptwerk der Ausstellung steht für die Anzahl an Menschen, die auf unserem Planeten leben. Die Menschheit nimmt ständig zu und verdrängt andere Lebewesen aus ihrem natürlichen Lebensraum und zerstört die Natur.

Die Ausstellung möchte jedoch keine Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck bringen, im Gegenteil. Die Stiftung meint dazu:

“Die Menschheit hat das Wissen und die Fähigkeit, das Handeln zu hinterfragen und zu ändern. Wenn die Kunst und die Ausstellung hierzu einen Denkanstoss liefern kann, sehen wir darin eine wichtige Aufgabe unserer Kulturstiftung“.

Digger

Der Erstkontakt in der Ausstellung erfolgt über die Figur „Digger“, einer unheimlichen Konstruktion zwischen Alien und Abbaumaschine, wie man sie aus dem Tagebau kennt. Sie ist Sinnbild für die Ausbeutung der Natur durch den Menschen und nimmt eine mögliche Verselbstständigung, die für ihre Schöpfer nicht mehr kontrollierbar ist, vorweg.

Die Mondlandschaft

Dahinter folgt in einem zweiten Ausstellungskomplex eine Installation, die einen Teil der Mondlandschaft eins-zu-eins wiedergibt, lediglich in fragmentierter Form. Der Mond steht als Sinnbild eines toten Planeten. In der hier gezeigten Form hat er sich in seine Bestandteile aufgelöst, dient der Wissenschaft lediglich noch als forensisches Forschungsobjekt, dessen Zerstörung mit derselben rationalen Akribie untersucht wird, wie die Trümmer eines Flugzeugwracks.

Sleeping with the Gods

Das Zentrum der Ausstellung bildet eine raumfüllende Installation, welche den gesamten hinteren Bereich des Ausstellungsraumes ein- und übernimmt. Um sie lesen zu können, muss man sich die gesamte Raumhöhe als Zeitachse von 1700 bis heute vorstellen. Der Boden repräsentiert also die Zeit vor rund 320 Jahren. Daraus erheben sich verschiedene, unterschiedlich hohe grasbewachsene Konen, die sich nach oben in der Zeitachse stetig verjüngen, bis sie zum Teil ihr Ende finden.

In ihrer Mitte erhebt sich ein mächtiger, hochglanzpolierter Edelstahl-Konus, der sich umgekehrt proportional entwickelt und immer mehr an Volumen und Macht gewinnt. Er steht für die rasante Bevölkerungsentwicklung, die grasbewachsenen, endlichen Konen für die verschiedenen Tierarten, welche in der Zeit der grössten menschlichen Eingriffe in die Natur dezimiert und ausgerottet wurden. Den verschiedenen Tierarten wird in Neonschrift sinnbildlich eine Gedenktafel gesetzt. Die Mutter des Künstlers hat die (lateinischen) Namen vorgeschrieben.

Fibonacci

Die Plastik aus Edelstahl bildet, zum Schluss, die Bevölkerungsentwicklung vom Jahr Null bis heute ab. Hier läuft eine Entwicklung, die bis zum 18. Jahrhundert sanft und gleichförmig verlief. Ab 1700 veränderte sich die Situation dramatisch. Mit den Folgen dieses Eingriffs in die Natur sehen die Menschen sich heute konfrontiert.

Auf dem Schrott erwähnt der Künstler auch die sogenannten Fibonacci Zahlen. Diese Zahlen stellen eine Exponentielle Bevölkerungsentwicklung dar.

Leonardo da Pisa oder Fibonacci (um 1170 – um 1240)  hat 1202 in seinem Buch Liber Abaci diese Zahlenreihe für die Vermehrung von Kaninchen publiziert, womit sich der Kreis zu Fragen der menschlichen Populationsentwicklung schliesst.