Der Aletschgletscher und Konkordiaplatz. Foto/Photo: TES

Handel und Wandel des Aletschgletschers

Der Aletschgletscher und die drei Berge Eiger, Mönch und Jungfrau (les Trois Bernoises), bilden den Mittelpunkt des UNESCO-Welterbes „Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch“. Der englische Physiker, Mathematiker und Glaziologe John Tydall (1820-1893) schrieb bereits im Jahr 1860:

„Der Aletschgletscher ist der eindrucksvollste Gletscher der Alpen. Wir standen darüber, während die umliegenden Berge den gigantischen Eisstrom grosszügig speisten“.

Der Konkordiaplatz auf diesem Gletscher verdankt seinen Namen einem anderen Engländer, J. F. Hardy. Er verglich die Kreuzung mehrerer Gletscher mit dem Place de la Concorde in Paris. Die Eisdicke betrug hier um 1937 900 Meter, heute rund 800 Meter.

Diese und Hunderte von anderen Gletschern haben die Landschaft in weiten Teilen der Schweiz über Hunderttausende von Jahren geprägt.

Der mächtige Aletschgletscher hat seine Anfänge und vor allem Perioden der Abnahme und Zunahme von Dicke und Länge, die heute noch etwa 22 Kilometer beträgt, mit einem aktuellen Rückgang von etwa 50-70 Metern pro Jahr.

Vor Millionen von Jahren lag die Schweiz in einem subtropischen Klima noch weitgehend unter Wasser. Dann sank die Temperatur in einem langen Prozess stetig Der Höhepunkt wurde vor etwa 24 000 Jahren während der letzten Eiszeit erreicht.

Das Ende des Gletschers, Sommer 2022. Foto: TES

Forschung

Die Aletsch-, Fiescher- und Rhonegletscher reichten bis nach Lyon im Süden und Solothurn im Norden mit einer Dicke von 1700 bis 500 Metern! Die Durchschnittstemperatur war 14 Grad niedriger als heute.

Die moderne Forschung ist in der Lage, den historischen Verlauf der Gletscher bis vor 24 000 Jahren mit angemessener Genauigkeit zu prüfen. Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen gehen auf das Jahr 1841 zurück.

In diesem Jahr veröffentlichte Alfred Escher von der Linth (1807-1872) einen Bericht über das Abschmelzen des Aletschgletschers. Es ist bekannt, dass sich dieser Prozess beschleunigt und heute mehr als 50-70 Meter pro Jahr erreicht. Seit 1860 ist der Gletscher um etwa 4 Kilometer geschrumpft.

Der Blausee, Kandertal

Das Abschmelzen der Gletscher ist also kein neues Phänomen. Zahlreiche Seen sind das Ergebnis dieses Prozesses, vom Blausee (Kanton Bern) über den Märjelensee (Kanton Wallis) bis hin zu den Seen von Neuenburg, Murten oder Biel. Die grosse Schmelze begann vor etwa 12 000 Jahren. In fünfzig Jahren stieg die Temperatur um nicht weniger als 7 Grad!

Es war jedoch ein Prozess mit Kalt- und Warmzeiten. Zwischen 1300 und 1850 gab es zum Beispiel eine kleine Eiszeit, in der auch der Aletschgletscher seine maximale Grösse erreichte. Gemälde, Drucke, Dokumente und Literatur aus dieser Zeit zeugen von der Kälte.

Abraham Beerstraten  (1643-1666), die kleine Eiszeit 1660. Musée d d’art et d’histoire, Ville de Genève.

Zwischen 800 und 1300 war es deutlich wärmer und der Aletschgletscher hatte ungefähr seine heutige Grösse. In der Bronze- und Eisenzeit (1300-100 v. Chr.) war sie jedoch kleiner als heute.

Fieschergletscher

Der Fieschergletscher ist der kleine Bruder des Aletschgletschers. Das Finsteraarhorn ist das gut 4000m hohe Zentrum dieses Riesen von fast 15 Kilometern. Im 16. Jahrhundert bedrohte dieser Gletscher die Weiler Brucheren und Unnerbärg so sehr, dass das katholische Wallis um Hilfe von oben und vom Papst bat. Eine jährliche Prozession, viele Gelübde (u. a. kein Tanzen und keine roten Schuhe für Frauen) und tägliche Gebete sollten den Gletscher zurückhalten. Seit 1860  erhört der Gletscher diese Gebete offenbar und zieht sich zurück.

John Tyndall

Der oben erwähnte John Tyndall verdient besondere Aufmerksamkeit. Er war nicht nur ein renommierter Glaziologe, sondern auch ein guterBergsteiger, der unter anderem die Jungfrau, das Weisshorn, die Dufourspitze, das Finsteraarhorn und das Aletschhorn bestieg. Er liebte die Schweiz, das Wallis und die Belalp im Besonderen.

Von 1861 bis zu seinem Tod verbrachte er die Sommermonate im Hotel Belalp, das 1857 erbaut wurde. Die anglikanische Kapelle stammt aus dem Jahr 1884. Tyndall baute 1877 sogar ein englisches Landhaus, die Alp Lüsgen, neben dem Hotel. Die Gemeinde Naters verlieh ihm 1887 das Ehrenbürgerrecht. Ein Denkmal bei seinem Landhaus erinnert an den Erbauer der höchsten Villa Europas.

Das Englische Erbe 

Es ist nicht die einzige Visitenkarte der Engländer. Am Fusse des Eggishorns eröffnete der Walliser Alexander Wellig mit englischer finanzieller Unterstützung ein einfaches Gasthaus. Bis 1902 entstand ein Komplex mit dem Grand Hotel Jungfrau-Eggishorn (102 Betten), zwei (anglikanischen) Kapellen, einem Postamt, einem Tennisclub und anderen Einrichtungen.

„Das schreckliche Trümmergebilde“, damals der berühmteste Aussichtspunkt der Alpen, war die grosse Attraktion und das Ziel vieler Alpinisten, die vom Grand Hotel aus starteten. Das Hotel florierte bis 1968. Der Bau einer Seilbahn vom Tal aus bedeutete das Ende des Grand-Hotels, das 1972 abbrannte.

Sir Ernest Cassel (1852-1921) baute 1902 eine 25-Zimmer-Villa an der Riederfurka. Die Villa, die neben dem 1882 erbauten Grand Hotel Riederfurka liegt, beherbergt heute das Naturschutzzentrum Aletschwald, bot aber in den 1920er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg Raum für eine Art Vorläufer des Weltwirtschaftsforums in Davos. Sir Winston Churchill (1874-1965) war einer der zahlreichen Besucher aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Finanzwesen.

Schlussfolgerung

Der Aletschgletscher ist das Herzstück einer UNESCO-Welterberegion. Der Gletscher hat ein ehrwürdiges Alter und eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, d. h. mit Wachstum und Rückgang. Es ist auch einer der ersten wissenschaftlich erforschten Gletscher und eine Wiege des britischen Tourismus von 1850 bis zum Ersten Weltkrieg.

Er zeigt, dass die heutigen Gletscher sowie Berge, Seen, Flüsse, Flora und Fauna keine Selbstverständlichkeit sind, sondern das Ergebnis natürlicher Prozesse über viele Millionen Jahre hinweg. Der Mensch oder die Menschheit beeinflusst die Natur heute schneller und stärker als je zuvor. Die Änderungen sind jedoch nicht einzigartig. Der Planet Erde wird sich noch eine Weile weiterdrehen, so wie er es seit vier Milliarden Jahren tut.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass der Mensch (die Sorge um die Natur beginnt bei jedem Einzelnen) und die Menschheit Respekt vor diesem grössten und grossartigsten Welterbe haben sollten.

Quelle und weitere Informationen Startseite – UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch (jungfraualetsch.ch)

Korrektorin: Petra Ehrismann