Lausanne, la chapelle de Tell. Photo: Lars Kophal

Wilhelm Tell in Lausanne

Die Tellskapelle in Lausanne ist keine Kapelle. Sie beherbergt keine Reliquien des Nationalhelden Wilhelm Tell, der (sofern es ihn gab) wohl nie in Lausanne war. Interessanterweise verdankt die Kapelle ihre Existenz nicht einem Schweizer, sondern dem Franzosen Osiris.

Obwohl es sich nicht um eine Kapelle handelt und es im Kanton Uri drei echte Kapellen – im religiösen Sinn – gibt, die Wilhelm Tell gewidmet sind (in Sisikon, Bürglen und Küssnacht), ist diejenige in Lausanne in mehrfacher Hinsicht einzigartig.

Die Tellskapelle verdankt ihre Existenz Daniel Iffla (1825-1907), einem wohlhabenden Pariser Bankier, der 1861 per kaiserlichem Dekret das Recht erhielt, seinem Namen den Zusatz „Osiris“ hinzuzufügen.

Daniel Iffla-Osiris. Foto: Wikipedia

Der französische Schriftsteller Pierre Assouline beschreibt ihn in seinem Buch “Le dernier des Camondo” (Paris, 1999) als

„le prototype du mécène moderne doublé d’un homme d’œuvres (…). Seine philanthropische Besessenheit beruhte zum einen auf der jüdischen Tradition der Tsedaka (Wohltätigkeit), dem öffentlichen Ansehen und dem unbändigen Wunsch, sein Vermögen zu vermehren.“

Bereits 1902 hatte Osiris der Stadt Lausanne die Statue von Wilhelm Tell vor der Treppe des Justizpalastes in Montbenon geschenkt, als Zeichen des Dankes für den gastfreundlichen Empfang von Bourbakis Armee im Jahr 1871.

Bei seinem Tod hinterliess er der Stadt eine grosse Summe für den Bau einer Synagoge und einer Kapelle zum Gedenken an den Nationalhelden.

Ausgewählt wurde das Projekt des Architekten Georges Epiteaux (1873-1957), der auch für den Bau der Galeries Saint-François in Lausanne verantwortlich war und des Malers Ernest Biéler (1863-1948).

Lausanne, Wilhelm Tell. Foto: Ville de Lausanne

Palais de Justice. Foto: Notrehistoire.ch

Die Kapelle wurde 1917 eingeweiht, während in Europa der Krieg tobte. Die Fresken wurden vorsorglich in den Saal des Justizpalastes gebracht.

Wir haben also die bemerkenswerte Tatsache, dass in Lausanne eine Statue zu Ehren Wilhelm Tells steht und dass es eine Kapelle gibt, die keine richtige Kapelle ist und deren Fresken im Justizpalast, dem Sitz des Bundesgerichts, zu sehen sind. Sowohl die Statue als auch die Kapelle wurde von einem französischen Bürger in Auftrag gegeben.

Lars Kophal, Redaktor und Journalist

Die Tellskapelle bei Bürglen

Die Tellskapelle bei Sisikon (Kanton Uri)

Die Tellskapelle und die Hohle Gasse bei Küssnacht

Friedrich Schiller, Wilhelm Tell (1804), „zum Neujahrsgeschenk auf 1805“. Informationsstelle Küssnacht

Die Gesslerburg