Carl Friedrich Irminger (1813-1863), Guillaume Henri Dufour. Foto: Wikipedia

Der Sonderbundskrieg und General Dufour

Die Schweiz ist für ihre langsamen politischen Entscheidungen bekannt. Das Land war jedoch Vorreiter bei der Einführung der Demokratie und der Gründung der ersten dreisprachigen konföderalen demokratischen (Männer-)Republik Europas im Jahr 1848.

Die Kantone sind die Versuchsgärten für neue politische Konzepte, und letztlich entscheiden heute die Bürgerinnen und Bürger. So begannen auch in den Kantonen und  Gemeinden die politischen Diskussionen und Polarisierungen, die dem Sonderbundskrieg von 1847 vorausgingen. Die lange schwelende Zwietracht in der neuen Schweizerischen Eidgenossenschaft von 1815 brach 1847 aus.

Die Schweiz im Jahr 1831. Bild: Marco Zanoli

Hintergrund

Die Verfassung der neuen Eidgenossenschaft von 1815 stellte das Ancien Régime in den (neuen) Kantonen wieder her. Überwiegend katholische oder protestantische Kantone, die französisch-, deutsch- oder italienischsprachig waren, arbeiteten ab 1815 in unterschiedlichen Koalitionen zusammen.

Die grosse Pfründe war die Revision der Verfassung von 11 Kantonen in den Jahren 1830/1831, die sogenannte Regeneration. Unter dem Eindruck der französischen und deutschen Revolutionen in den Jahren 1830/1831 führten 11 Kantone eine liberale Verfassung ein, die unter anderem das allgemeine Wahlrecht für männliche Bürger (mit einigen Einschränkungen) vorsah.

Diese liberale Verfassung der 11 Kantone konzentrierte sich vor allem auf die trias politica, die Liberalisierung von Wirtschaft und Handel, das allgemeine Wahlrecht (für Männer), die Gleichheit vor dem Gesetz und andere Grundfreiheiten sowie die Demokratisierung. Religiöse Motive spielten noch kaum eine Rolle.

Verteilung der Konfessionen in der Schweiz (1850). Landesmuseum Zürich

Nach 1831 gewannen die religiösen Konflikte jedoch an Bedeutung und ab 1841 eskalierte die Situation. Die Auflösung der Klöster im protestantischen und katholischen Kanton Aargau und die Rolle der Kirche und der Jesuiten in den katholischen Kantonen (insbesondere in Luzern) waren der unmittelbare Anlass.

Die Verfassung von 1815 garantierte Religionsfreiheit und gleiche Rechte für Protestanten und Katholiken (nicht aber für Juden!) in den Kantonen.

Doch eine neue Aargauer Kantonsverfassung (5. Januar 1841) setzte der Gleichberechtigung der Katholiken ein Ende. Diese revoltierten dann vergeblich. Die katholischen Kantone akzeptierten dies nicht, und im Kanton Luzern erlangten die Jesuiten sogar wieder eine bedeutende Rolle in Politik und Bildung. Dies wiederum führte zu bewaffneten Übergriffen aus den Nachbarkantonen.

Der tiefere Grund war jedoch die Uneinigkeit über das Konzept der Eidgenossenschaft. Die protestantischen und einige liberal-katholische Kantone wollten einen stärkeren Bund auf Kosten der kantonalen Kompetenzen. Die katholisch-konservativen Kantone lehnten dies ab.

Auch dieser Konflikt hatte, wie immer, wirtschaftliche Motive. Die Kantone der Zentralschweiz hatten traditionell eine andere geografische und wirtschaftlich-agrarische Ausrichtung, nämlich nach Süden, über den St. Gotthard hinweg. Die städtischen protestantischen Kantone waren stärker industrialisert und auf Handelskontakte mit dem Norden und Westen ausgerichtet.

In den so genannten Urkantonen Schwyz, Unterwalden (bestehend aus Obwalden und Nidwalden) und Uri herrschten ausserdem Armut und Hungersnot, was immer ein guter Nährboden für Rebellion ist. Jahrhundertelang hatten junge Männer als Söldner in fremden Armeen gedient. Nach 1815 war dieser „Handel“ zusammengebrochen.

Bild: Marco Zanoli

Der Sonderbund

Im Jahr 1845 gründeten die katholischen Kantone Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug, Uri, Luzern, Wallis und Freiburg den Sonderbund. Die protestantisch-liberalen Kantone, unterstützt von den drei mehrheitlich liberal-katholischen Kantonen Solothurn, Tessin und St. Gallen, lehnten ihn unter Berufung auf die Bundesverfassung ab.

Die protestantischen Kantone Basel-Stadt und Neuenburg sowie der katholische Kanton Appenzell Innerrhoden blieben neutral. Die Tagsatzung, die eidgenössische Vertretung  für die Kantonen, erklärte im Juli 1847 mit knapper Mehrheit den Sonderbund und die Anwesenheit von Jesuiten in Luzern für illegal.

Die Eskalation gipfelte trotz der vermittelnden Rolle des Kantons Basel-Stadt in der Mobilisierung einer 80 000 Mann starken Armee des Sonderbundes im Oktober 1847. In der Folge mobilisierte die Eidgenossenschaft eine Armee von 100 000 Mann.

Die Tagsatzung ernannte Guillaume Henri Dufour ((1787-1875) zum General der eidgenössischen Armee, der General des Sonderbundes war der Protestant (!) und Oberst der eidgenössischen Armee (!) Johann-Ulrich von Salis-Soglio (1790-1874) aus Graubünden (!).  Das zeigt, wie sehr die Kantone bereits miteinander verflochten waren.

Johann-Ulrich von Salis-Soglio, um 1850, unbekannte(r )Künstler(in). Foto: Wikipedia

Auch die Wahl Dufours war keine Selbstverständlichkeit. Er stammte aus dem neuen französischsprachigen Kanton Genf und war, obwohl er protestantisch war, gegen einen starken Bundesstaat.

Am 4. November eröffnete der Sonderbund vom Kanton Uri aus über den St. Gotthard den Angriff auf den Kanton Tessin, ein altes Untertanengebiet. Es war ein Misserfolg. Der weitere Verlauf ist bekannt. Am 23. November 1847 fand die Entscheidungsschlacht in der Nähe des Dorfes Gisikon (Kanton Luzern) statt, und nach einem kurzen Krieg von 25 Tagen, 93 Toten und 510 Verwundeten, kapitulierte der Kanton Wallis am 29. November.

Der europäische Kontext

Die Grossmächte Russland, Österreich und Preussen (die Heilige Allianz) und Frankreich dachten daran, zugunsten der katholisch-konservativen Kantone und gegen die liberalen, in ihren Augen radikal-demokratischen Kantone, militärisch zu intervenieren.

Die Monarchen hatten nach den Erfahrungen von 1789-1815 keinen Bedarf an einem zweiten revolutionären Experiment. Vor allem Klemens Wenzel von Metternich (1773-1859), der langjährige österreichische Aussenminister und Kanzler, wollte militärisch eingreifen. Zudem unterstützte der Papst den katholischen Kanton Luzern und die Jesuiten finanziell.

Thomas Lawrence (1769-1830), Prinz Klemens Wenzel von Metternich, um 1818. Sammlung Royal Collection of the United Kingdom. Foto: Wikipedia

Die Schweiz war den europäischen Monarchien wegen ihrer Aufnahme von politischen Flüchtlingen, Revolutionären und Anarchisten seit 1815 ohnehin ein Dorn im Auge. Das Problem war, dass dieselben Grossmächte 1815 auf dem Wiener Kongress (1814/1815) die Neutralität des Landes garantiert hatten.

Im Jahr 1847 fand keine Invasion statt, obwohl die katholischen Kantone dies beantragt hatten.  Nicht weil diese Monarchien die Neutralität respektierten, sondern weil England sein Veto einlegte und diese Länder selbst mit Revolutionen und Unruhen konfrontiert waren. Im Übrigen war der Konflikt in der Schweiz nur von kurzer Dauer und die Ordnung war bereits 1848 wiederhergestellt. Von einer neuen Französischen Revolution war nicht die Rede.

1848

Was den Sonderbundskrieg besonders macht, ist die Zeit danach. Ein Bürgerkrieg zerrüttet Gesellschaften oft für viele Generationen, spaltet sie in unversöhnliche Lager. Nicht so in der Schweiz. Auch dieser Bürgerkrieg hat seine Spuren hinterlassen, aber die ehemaligen Feinde haben sich bald wieder „vertragen“, und es gab keinen dauerhaften Hass oder Rachegefühle.

Was macht die Schweiz auch in dieser Hinsicht anders? Die jahrhundertelange Solidarität ab dem 13. Jahrhundert in der überwiegend deutschsprachigen Eidgenossenschaft und die relativ milden Regime in den von dieser Eidgenossenschaft besetzten Gebieten (Untertanengebiete) hatten trotz aller Widersprüche eine Art nationale Identität entstehen lassen.

Die Kantone Aargau (1415), Thurgau (1460), Waadt (1536), Tessin (1512) waren von diesen Jahren an bis 1798 von der Eidgenossenschaft besetztes und verwaltetes Gebiet. Im Jahr 1803 erhielten sie den Status eines souveränen Kantons. Neuenburg war bis 1395 eine Grafschaft und danach ein deutsches, französisches und schliesslich preussisches Fürstentum, formell bis 1857, obwohl es seit 1815 als souveräner Kanton Mitglied der Eidgenossenschaft war. Genf und das Wallis waren seit dem 15. Jahrhundert souveräne Territorien und gehörten erst seit 1815 zu den Kantonen der Eidgenossenschaft.

Die Bürger von Genf, Neuenburg und Wallis entschieden sich 1815 für die Schweizerische Eidgenossenschaft. Die Bürger des Tessins taten dies 1803, als Napoleon sie vor die Wahl stellte, sich der von ihm gegründeten italienischen Republicca Cisalpina und später der Republicca Italiana (1797-1805) anzuschliessen (Siamo Svizzeri italiani).

Der Geist des Kompromisses, die jahrhundertelange Erfahrung des Zusammenlebens, das Streben nach dem Erreichbaren, die Mentalität des „agree to disagree“, der Vorrang von Demokratie und Souveränität und die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen schufen „Einheit in Verschiedenheit“.

Der Krieg endete, wie er begonnen hatte: massvoll oder wie General Dufour am Vorabend des Sieges sagte:

Eidgenössische Wehrmänner, Ihr werdet in den Kanton Luzern einrücken. Zieht dem Feinde kühn entgegen, schlägt Euch tapfer und steht zu Eurer Fahne. Sobald aber der Sieg für uns entschieden ist, so vergesset jedes Rachegefühl, betragt Euch wie grossmütige Krieger, verschont die Überwundenen, denn dadurch beweist Ihr Euren wahren Mut„.

Das erinnert an Winston Chuchill (1874-1965): “In War: Resolution, In Defeat: Defiance, In Victory: Magnanimity, In Peace: Good Will.” (Winston Churchill, The Second World War, Volume I, The Gathering Storm, London 1948).

Eine Kombination aus Unnachgiebigkeit, Pflichtbewusstsein, Mitgefühl für den besiegten Feind, kurzum, die Grundlage für eine langfristige Koexistenz. Die versöhnliche Verfassung von 1848 ist noch immer das liberale, soziale, demokratische, föderale und dezentrale Fundament des Landes. Dabei ist die direkte Demokratie seit 1874 und 1891 ein unverzichtbarer Bestandteil.

C. Studer, Winterthur, Bundesverfassung 1848, Gedenkschrift, Sammlung BBibliothek Bern. Foto: Wikipedia

Schlussfolgerung

Religiöse Fragen spielen heute in der Politik keine grosse Rolle. Auch die Viersprachigkeit und insbesondere der “Röstigraben” sind politisch von untergeordneter Bedeutung.

Die Kantone des Sonderbundes bewahrten ihre Identität und weitgehend ihre Souveränität und entwickelten sich auch wirtschaftlich innovativ und vielseitig.

Sie profitierten vom liberalen Geist der Verfassung, von der Modernisierung der Wirtschaft und von der Entwicklung der Industrie, vom Tourismus, vom Ausbau des Eisenbahn- und Strassennetzes, von der Gründung der besten Universitäten Europas (ETH Zürich und ETH Lausanne (EPFL) von der Sozialgesetzgebung und – auch dadurch – von einem immer grösser werdenden Wohlstand.

Konflikte und Interessenkonflikte gibt es immer noch, aber weniger zwischen den Kantonen, sondern innerhalb einzelner Kantone. „Stadt gegen Land“ und „Alt gegen Jung“ sind hier besonders zu erwähnen.

Die kürzlich erfolgte Wahl einer französischsprachigen Bundesrätin aus dem Kanton Jura anstelle einer deutschsprachigen Kandidatin aus dem Kanton Basel-Stadt oder eine französisch-italienischsprachige Mehrheit im Bundesrat ist weniger wichtig als die Unterrepräsentation der grossen Städte.

Der Sonderbundskrieg war ein Bürgerkrieg ohne die traumatischen Langzeitfolgen eines solchen Konflikts. Dies ist ein Verdienst und eine Besonderheit des Landes, seines politischen Systems, seiner Bewohner und Politiker, wobei der Kartograph, Humanist, Geograph, Politiker, Ingenieur und Militär Guillaume Henri Dufour eine führende Rolle spielte.

(Quelle und weitere Informationen: J. Jung, Einigkeit, Freiheit, Menschlichkeit. Guillaume Henri Dufour als General, Ingenieur, Kartograf und Politiker, Zürich, 2022; P. du Bois, La guerre du Sonderbund, (Neuchâtel 2018); Historisches Lexicon der Schweiz, Der Sonderbund).

Korrektorin: Eva Maria Fahrni