Der Fähnrich. Denkmal zu Ehren des sardischen Heeres, 1857, Gipsoriginal. Marmor Turin, 1859.

Vincenzo Vela, Realismus und der Risorgimento

Der Kanton Tessin ist nur ein paar Jahrzehnte älter als das vereinte Königreich Italien. Dennoch spielte einer der berühmtesten Einwohner des Kantons eine wichtige Rolle bei der Einigung Italiens. Er hat diesen Prozess, das Risorgimento, durch seine Skulpturen und seinen berühmten künstlerischen Stil buchstäblich ins Blickfeld und in die internationale Öffentlichkeit gerückt.

1815 erkannte der Wiener Kongress die Neue Schweizerische Eidgenossenschaft mit 22 souveränen Kantonen an. Auf demselben Kongress überliessen die Grossmächte und Sieger (Preussen, Österreich, das Vereinigte Königreich und Russland) Österreich die Kontrolle über Norditalien und erkannten das Königreich Sardinien-Piemont an. Das französische Haus der Bourbonen erhielt Sizilien.

Im Jahr 1820 begann der Aufstand, das Risorgimento (die Bezeichnung für die italienischen Einheitsbestrebungen), das 1861 zur Einigung und zum Königreich Italien führte. 1820 wurde auch Vincenzo Vela in Ligornetto, einem kleinen Dorf im südlichen Tessin, in der Region Mendrisiotto, geboren.

Vincenzo war schon in jungen Jahren in das Risorgimento involviert. Er ging sehr jung nach Mailand und studierte dort er an der Accademia di Brera und an der Scuola d’Ornato. Im Jahr 1842 schloss er sein Studium als Bildhauer ab. Er lebte und arbeitete abwechselnd in Turin und Mailand. Er lehnte den Klassizismus ab und führte den Verismo (Verismus oder Realismus auf Deutsch) ein.

Im österreichischen Mailand und im sardinisch-piemontesischen Turin stellte sich die Elite gegen Österreich. Das Ziel war ein vereinigtes Königreich Italien unter der Führung des Hauses Savoyen. Vela war politisch und gesellschaftlich engagiert und stellte seine Arbeit auch in den Dienst des Risorgimento.

Spartacus, 1849, Gipsoriginal; Lugano, Marmor,1850, Atrium des Rathauses

Er nahm nicht nur am Sonderbundskrieg 1847 auf der Seite von Guillaume-Henri Dufour teil, sondern meldete sich auch freiwillig für den Unabhängigkeitskrieg der Lombardei gegen Österreich im Jahr 1848. Sein Marmor-Koloss Spartacus aus dem Jahr 1850 war das Ergebnis. Das Original befindet sich heute in Lugano, das Gipsoriginal im Museo Vincenzo Vela in Ligornetto.

Der römische Sklave und Freiheitskämpfer wurde zur Identifikationsfigur des italienischen Aufstandes. Velas Realismus war somit Träger der Risorgimento-Bewegung geworden und er prägte die monumentale Bildhauerkunst nachhaltig.

Sein Verismo wurde in Europa bald als Inbegriff des italienischen Nationalstils angesehen. Aus diesem Grund musste er 1852 von Mailand nach Turin fliehen. Turin war zu dieser Zeit das liberale politische und künstlerische Zentrum des freien Italiens.

Die letzten Augenblicke Napoleons 1., Gipsoriginal, 1866; Versailles, 1867, Marmor.

Sein Ruhm reichte weit über die Grenzen Italiens und der Schweiz hinaus, und seine Skulptur Italien dankt Frankreich aus dem Jahr 1863 brachte ihm den Titel Chevalier de la Légion d’honneur ein. Seine Skulptur Die letzten Augenblicke Napoleons 1. auf der Pariser Weltausstellung 1867 war eine Sensation. Kaiser Napoleon III., Neffe des Dargestellten, erwarb das Original (heute in Versailles) und Vela wurde zum Officier de la Légion d’honneur befördert.

Nach seiner Tätigkeit im Ausland kehrte er 1867 in sein Heimatdorf Ligornetto zurück, wo er eine Villa baute, die ihm als Wohnhaus, Atelier und Privatmuseum diente und das er 1880 auch der Öffentlichkeit zugänglich machte. 1889 beauftragte die Stadt Como Vela, die Statue zu Ehren von General Giuseppe Garibaldi (1807-1882) zu schaffen. Es war Velas letztes grosses Werk.

Das ‚Pantheon des Risorgimento‘ in der achteckige Halle (oben) und Giuseppe Garibaldi (1807-1882), Original-Gipsmodell, 1888; Bronze in Como, 1889, Piazza della Vittoria.

Die Villa beherbergt seit 1898 das Museo Vincenzo Vela. Das Museum zeigt das Wohnzimmer der Villa, eine Galerie mit Gemälden und Gegenständen aus dem Familienbesitz, Werke von Vincenzo und von seinem Sohn, dem Maler, Zeichner und Aquarellisten Spartaco Vela (1854-1895) sowie vom Bildhauer Lorenzo Vela (1812-1897), dem acht Jahre älteren Bruder Vincenzos.

Ebenfalls ausgestellt sind Bilder aus den Privatsammlungen der drei Künstler Vincenzo, Spartaco und Lorenzo. Die Gemäldegalerie  umfasst 300 Werke aus der Zeit von 1850 bis 1890 und gilt als die bedeutendste Sammlung eines Schweizer Museums von Gemälden der lombardischen und piemontesischen Kunst des 19. Jahrhunderts.

Museo Vincenzo Vela und der Park

Heute hat diese Skulptur des 19. Jahrhunderts keinen guten Ruf. Die (pompösen und pathetischen) Denkmäler sollen jedoch in ihrer angestammten Funktion und im ursprünglichen städtebaulichen Kontext erfasst werden.

Das museum gibt einen vielseitigen Einblick in jenes Zeitalter, das als historischen Voraussetzung für die heutigen Demokratien Europas verstanden wird. Diese Skulpturen gehören auch inhaltlich und formal zur frühen Moderne gehörende Werke des Realismus.

(Quelle und weitere Informationen: Museo Vincenzo Vela; M.-J. Wasmer, Museo Vincenzo Vela in Ligornetto, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern, 2020).

Korrektorin: Eva Maria Fahrni