Augsuta Raurica, theater. Foto: TES

Die Romanisierung der Schweiz

Unter Romanisierung versteht man die Verbreitung der römischen Kultur und Lebensweise, einschliesslich der Verwaltung, des Bildungswesens, der Landwirtschaft, der Sprache, des Geldwesens, der Kultur, der Architektur, der Stadtplanung, der sozialen und wirtschaftlichen Organisation, des Rechts, der Religion und der Infrastruktur wie Strassen und Brücken, Theater, Amphitheater, Bäder und Aquädukte.

 

Die lokale Verwaltungselite (Ordo Decurionum) und andere wohlhabende Bürger und Aristokraten waren die Hauptakteure im Prozess der Romanisierung in den Provinzen des Römischen Reiches. Auch das Gebiet der heutigen Schweiz wurde ab 13 v. Chr. von Rom besetzt und in Provinzen aufgeteilt. 

 

Die römischen Provinzen um 150 n. Chr. Bild: Marco Zanoli/Wikipedia

 Die Romanisierung

 

Die lokalen Eliten übernahmen innerhalb einer Generation die römische Lebensweise, Sprache und Kultur. Römische Bürger, Soldaten, Kaufleute, Veteranen der römischen Armee, Bankiers, Handwerker und Verwalter liessen sich auch in der heutigen Schweiz nieder. Diese rasche Integration lässt sich mit dem Mehrwert der römischen Kultur und den Möglichkeiten, die sie bot, erklären.

 

Die Römer verfolgten auch deshalb eine erfolgreiche Integrationspolitik, weil sie der lokalen Elite zahlreiche Karrieremöglichkeiten in Wirtschaft und Handel, Armee, lokaler, provinzieller und manchmal sogar kaiserlicher Verwaltung boten, ohne ihnen die römische Kultur aufzuzwingen. Die lokale Elite verfügte über ein hohes Mass an Autonomie, solange Steuern gezahlt wurden und Rom nicht (militärisch) bekämpft wurde.

 

Die römische Kultur und Lebensweise boten ausserdem einen wesentlich höheren Lebensstandard. Steinhäuser, ein gutes Strassennetz, Kanalisation, Badehäuser mit Warmwasser, Theater, Rechtssicherheit, Brot und Spiele, Bildung und Schriftkultur sind nur einige der vielen Beispiele. 

 

Nach der Romanisierung der lokalen Elite folgte die allmähliche Anpassung der übrigen Bürger, zunächst in den Städten, dann auf dem Lande. Über diesen Prozess ist wenig bekannt, da nur die Elite schrieb, und dann meist nur über und für die Elite. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung, etwa 90 %, lebte auf dem Lande. Über Sklaven (schätzungsweise 25 % der Bevölkerung), Frauen und Kinder ist ohnehin wenig bekannt.

 

Diese Romanisierung war jedoch nicht vollständig. Aus diesem Grund wird sie auch gallo-romanisch genannt. Gallisch ist ein anderes Wort für keltisch. Nur die Elite und ein Teil der Bewohner in den städtischen Gebieten waren römisch oder vollständig eingebürgert im neuen Reich, wie wir heute sagen. Auf dem Land entwickelte sich eine gemischte Kultur und Sprache.

 

Bild: Museum Augusta Raurica 

Die Schweizer Regionen

 

Tempo und Intensität der Romanisierung hingen stark von der Urbanisierung ab und variierten je nach Region und Bedingungen. Die westlichen und nördlichen Teile des Schweizer Territoriums waren stark romanisiert, zum Beispiel Colonia Julia Equestris (Nyon), Vindonissa (Windisch-Baden), Aventicum (Avenches), Lousanna (Lausanne), Augusta Raurica (Augst,), Petinesca (Studen), Genava (Genève), ), Aquae Helveticae (Baden), Tenedo (Zurzach), Salodurum (Solothurn), Vitudurum (Oberwinterthur), Tasgaetium (Eschenz), Forum Claudii Vallensium (Martigny) oder Sitten (Senedum) und das Tessin. 

 

Dabei spielten auch die Nähe zu strategisch wichtigen Gebieten wie dem Rhein und zu Militärlagern (wie in Vindonissa, dem heutigen Windisch, Kanton Aargau) sowie zu Handels- und Transportwegen eine wichtige Rolle.

 

Die weniger bevölkerungsreiche und gebirgige Zentral- und Ostschweiz war weniger urbanisiert und damit auch weniger romanisiert. In Graubünden war nur Curia (Chur) eine Stadt von Bedeutung. Der Zugang zu den Bergpässen und die Nord-Süd-Verbindung waren hier entscheidend. 

 

Das ausgedehnte Strassennetz, der Zugang zu den Pässen, die Wasserwege und der Bau von Häfen förderten zudem die Einigung der verschiedenen Stämme in der Region und die Integration mit der übrigen römischen Welt.

 

Nach dem Abzug der Römer zu Beginn des 5. Jahrhunderts begann das, was wir heute als Frühmittelalter bezeichnen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die keltische Kultur und Gesellschaft in die gallorömische Kultur verwandelt. 

 

Die römischen Provinzen um 395 n. Chr. Bild: Marco Zanoli/Wikipedia

 Das Frühmittelalter

 

Das Frühmittelalter (5.-8. Jahrhundert) war die Zeit der germanischen Stämme, der Alemannen, im grössten Teil der Schweiz. Es war aber auch die Zeit des Aufstiegs der Kirche, der Klöster und Bistümer in allen Teilen der Schweiz.

 

Die Alemannen führten die germanische Sprache und Kultur ein und verdrängten das (Vulgär-)Latein zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert. Die Alemannen siedelten sich jedoch nicht in der heutigen Romandie an. Erst der keltisch-deutschsprachige Stamm der Burgunder liess sich dort um 434 nieder. Dieser Stamm übernahm jedoch die gallorömische Kultur und Sprache, den Vorläufer des Französischen. Dieses Gebiet blieb weitgehend französischsprachig und die heutige Sprachgrenze stammt hauptsächlich aus der Zeit bis zum 10. Jahrhundert.

 

In der Ostschweiz, dem heutigen Graubünden, sowie in den liechtensteinischen, österreichischen und italienischen Gebieten blieb das Rätoromanische bis ins 19. Jahrhundert die Hauptsprache. Die Walser introduzierten das Deutsche jedoch ab dem 13. Jahrhundert in verschiedenen Gebieten dieser Region. Das Rätoromanische hielt sich lange und ging erst ab dem 19. Jahrhundert stark zurück.

 

Germanische Stämme erreichten das Tessin und die italienischsprachigen Täler Graubündens nicht, und nur die italienische Sprache und Kultur entwickelte sich in dieser Region. Vor allem die Kirche, die Klöster und die Diözesen behielten Latein als (wissenschaftliche und religiöse) Sprache. Die römische Kultur geriet aber ausserhalb der Kirche bis zur karolingischen Renaissance im 9. Jahrhundert in Vergessenheit. 

 

Fazit

 

Die Romanisierung hat auch in der Schweiz einen nachhaltigen Einfluss auf Sprache und Kultur hinterlassen. Ohne Rom gäbe es kein Christentum, zumindest nicht in der Form, wie es sich auf der Grundlage der römischen Kultur und Verwaltungseinheiten entwickelt hat. Dies ist ein Erbe der Römer, auch in der Schweiz.

 

(Quelle: J.-P. Felber, De l’Helvétie romaine à la Suisse Romande (Genève 2006), R. Fellmann, Die Römer in der Schweiz (Stuttgart 1988), B. Debatty, “ Les notables locaux dans les provinces gallo-romaines‘ „, in G. Garidel (Ed.) Les notables locaux dans les provinces gallo-romaines. Garidel (Ed.) Les Gallo Romains, Les Cahiers de l’Antiquité (Louviers).

 

Korrektorin: Petra Ehrismann

 

Das Amphitheater von Augusta Raurica