Unbekannter Maler, Die Versammlung in Uster am 22. November 1830. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung

Ustertag, Bundesverfassung und Demokratie

Im Mittelalter erwarb die Stadt Zürich grosse Teile des Umlandes. Die Landbevölkerung des Kantons stand unter der politischen und wirtschaftlichen Kontrolle der Stadtherren.

Zwar rief die Helvetische Republik (1798-1803) 1798 Freiheit und Gleichheit aus, was die rechtliche Gleichstellung von Stadt und Land gewährleisten sollte, doch 1814 erliess die alte Oligarchie eine neue Verfassung, die die Macht der alten Machthaber wiederherstellte (die sogenannte Restauration).

Die Landbevölkerung begann jedoch, sich in Schulen und Vereinen zu entwickeln. Langsam gelang es auch der Presse, die Menschen mit neuen Ideen vertraut zu machen. Sie brachte die Kritik in die Öffentlichkeit. Der Grosse Rat des Kantons Tessin stimmte schon am 23. Juni 1830 die erste liberale und demokratische Verfassung der Schweiz und Europas zu, eine Monat vor der Juli-Revolution in Frankreich!

Stefano Francisini (1796-1857) war der wichtigste Politiker und Befürworter der Verfassungsreform von 1830

Am 22. November 1830 marschierten 10’000 bis 12’000 Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Zürich in die Stadt Uster. Die Veranstaltung verlief friedlich und ohne Zwischenfälle. Das Volk hat gesprochen, und bereits am 6. Dezember 1830 wurden die neuen Mitglieder des Grossen Rates gewählt, die zu zwei Dritteln aus der Landbevölkerung stammten. Die neue liberale Verfassung trat dann bereits im März 1831 in Kraft.

Auch in den Kantonen Thurgau, Aargau, Luzern, St. Gallen, Freiburg, Waadt, Solothurn, Bern und Schaffhausen wurden die alten Eliten friedlich abgelöst und liberale Kantonsverfassungen eingeführt (die sogenannte Regeneration). Die Revolution von 1831 im Kanton Neuenburg scheiterte jedoch und war erst im Februar 1848 erfolgreich. Die Basler Bewegung führte 1833 zur Trennung in die beiden Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft.

Es folgten nach 1831 weitere Jahre der Polarisierung und des Sonderbundskrieges (1847) in der alten Eidgenossenschaft, aber am 12. September 1848 gab es eine neue Schweizer Verfassung und eine neue demokratische und liberale Konföderation.

Am 16. November 1848 wählte die Bundesversammlung die ersten sieben Mitglieder der Bundesrates: Jonas Furrer (Zürich), Ulrich Ochsenbein (Bern), Henri Druey (Waadt), Jozef Munzinger (Solothurn), Stefano Francini (Tessin), Friedrich Frey-Herosé (Aargau) und Wilhelm Näff (St. Gallen).

Bundesrat Ignazio Cassis sagte in seiner Rede an der Gedenkfeier zum Uster-Tag am 19. November 2023 in der Kirche von Uster:

“…….Der Ustertag erinnert uns an die liberale Revolution als entscheidenden Schritt in der Entstehungsgeschichte unseres Landes. Bevor diese liberale Revolution nach Uster kam, zündete sie im Tessin! Das Tessin war der erste Kanton mit einer Verfassung, die die liberalen Werte wie Gleichheit vor dem Recht, Gewaltentrennung und Demokratie festschrieb.

Diese liberale Revolution war eine Zeitenwende auf dem Weg zur Gründung des Bundesstaates (im Jahr 1848). Es war aber noch ein steiniger Weg, bis die erste Schweizer Verfassung in Kraft treten konnte. Auf die Revolution folgte eine Gegenrevolution und ein Bürgerkrieg (1847)…..” (Quelle: www.admin.ch).

Der Historiker Rolf Graber schrieb:

Regeneration: Rückgriff auf ältere Widerstandstraditionen. Der politische Umbruch von 1830 und die Einführung von liberalen Verfassungen in elf Kantonen sind die Folge von Volksbewegungen, die an die alteidgenössische Befreiungstradition, an die Widerstandbewegungen im Ancien Régime und an die Bewegungen von 1814/15 anknüpfen.

Ein Mittel der Massamobilisierung sind die den Landsgemeinden nachempfundenen Volkstage oder Volksversammlungen. Als wichtigste Erreignis gilt der Volkstag von Uster vom 22. November 1830”.

(Rolf Graber, Demokratie und Revolten. Die Entstehung der direkten Demokratie in der Schweiz, Zürich 2017).