Kirche St. Martin 9-14. Jahrhundert. Foto/Photo: TES

Arbon, Rorschach, das Bistum Chur und der Bodensee

Es ist eine Schweizer Besonderheit, dass zwei nahe gelegene Städte oft eine unterschiedliche Geschichte haben. Arbon (Kanton Thurgau) und Rorschach (Kanton St. Gallen) liegen am Bodensee, etwa 12 Kilometer voneinander entfernt. Arbon unterstand jedoch bis 1798 dem Bistum Konstanz, während Rorschach zum Territorium der Abtei St. Gallen gehörte.

Die Bodenregion war bereits in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt. In der Nähe von Arbon wurden zahlreiche Objekte aus der Zeit von 5000 bis 850 v. Chr. gefunden, darunter auch Pfahlbauten. In der aktuellen Klimadiskussion könnte es sinnvoll sein, dieser Region einen Besuch abzustatten. Aufgrund der raschen Klimaerwärmung und des steigenden Seespiegels wurden die Pfahlbauten der Kelten um 850 v. Chr. aufgegeben.

Die Arboner Pfahlbauten sind für Wissenschaft und Forschung von grosser europäischer Bedeutung, auch dank der zahlreichen Funde. Hunderte von Werkzeugen aus Bronze und Eisen, Jagdwaffen und Schmuck zeugen von der Fertigkeit der bronze- und eisenzeitlichen Handwerker.

Bronze ist eine Legierung aus Kupfer und Zinn. Das in Arbon verwendete Kupfer stammt aus der Eifel, das Zinn aus dem Südwesten Grossbritanniens. Es ist ein Zeugnis für den regen Fernhandel in Europa (und darüber hinaus) Jahrhunderte vor den Griechen und dem Römischen Reich.

Arbon

Die Römer erkannten die strategische Lage von Arbon und gründeten die Siedlung Arbon Felix (glücklicher Baum) nach der Eroberung der Schweiz im Jahr 13 v. Chr. Der Ort war Teil der gut organisierten römischen Postzustellung (Cursus publicus) im ganzen Reich.

Zudem lag Arbon Felix an der Kreuzung der Handelswege Vitudurum (Winterthur), Constantia (Konstanz), Brigantium (Bregenz) und Curia (Chur). Das römische Kastell wurde im vierten Jahrhundert errichtet, nachdem der Oberrhein-Bodensee Region zur neuen Grenze (Limes) mit Germania wurde.

Nach dem Abzug der Römer um 410 drangen die Alemannen in das Gebiet ein. Sie ersetzten bald die Sprache und Kultur der romanisierten Kelten und führten die alemannische Sprache und Kultur ein. Die alemannischen Herzöge herrschten bis ins 8. Jahrhundert. Dann übernahmen fränkische Könige und Kaiser (die Karolinger) die Herrschaft.

Gallus und Columban

Mit der Ankunft der irischen Mönche Columban und Gallus begann bereits 612 eine neue Phase in der Geschichte der Region. Gallus blieb zunächst in Arbon und zog dann an den Oberlauf der Steinach bei St. Georgen. Sein Eremitendasein führte er dann an der Stelle des heutigen Klosters St. Gallen. An diesem Ort an der Steinach war er der Legende nach gestolpert und sah dies als göttliches Zeichen an.

Das Bistum

Von 700 bis 1798 war Arbon im Besitz des Bistums Konstanz. Fast 1’000 Jahre (!) residierten die bischöflichen Vögte auf Schloss Arbon. Allerdings hatte die Eidgenossenschaft 1460 den Thurgau von Habsburg erobert, und das bedeutete für Arbon eine komplizierte Situation, denn obwohl der Bischof von Konstanz der rechtmässige Herrscher von Arbon war, hatte die Eidgenossenschaft de facto die Macht und übte sie durch gemeinsame Verwaltung in der Tagsatzung und auch durch Vögte aus. Dies führte zu vielen Konflikten, die hier nicht weiter erwähnt werden.

Arbon war zu dieser Zeit eine Stadt (eine Urkunde vom 29. Januar 1255 bestätigt die Stadtrechte) mit einer wichtigen regionalen und wirtschaftlichen Funktion. Anhaltende Streitigkeiten zwischen dem Bischof von Konstanz und dem Abt von St. Gallen veranlassten im 13. Jahrhundert den Bau der Stadtmauer mit Toren und Graben.

Rorschach

Die Geschichte von Rorschach geht auf die Alemannen zurück. Sie gründeten die Siedlung Rorscahun nach dem Abzug der Römer, in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Der deutsche König und spätere erste Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Otto I. (912-973), verlieh dem Ort im Jahr 947 die Marktrechte. Sein Besitzer war das Kloster St. Gallen.

Um das Jahr 1000 war Rorschach ein Durchgangsort für Pilger nach Santiago de Compostela und Einsiedeln und ein Platz für den Handel über und entlang des Bodensees.

Die ständigen Konflikte zwischen der Abtei St. Gallen und dem Bistum Konstanz spiegeln sich auch in den beiden mittelalterlichen Burgen in Rorschacherberg, einer kleinen Gemeinde bei Rorschach.

Marienberg

Konflikte gab es aber nicht nur zwischen dem Abt und dem Bischof, sondern auch zwischen dem Abt und den Appenzellern sowie dem Abt und den St. Galler Bürgern. Die Abtei wollte 1489 das Marienkloster in Rorschach einweihen. Kurz vor der Fertigstellung wurde es jedoch von Appenzellern und St. Galler Bürgern zerstört. Das Kloster wurde wieder aufgebaut, aber nicht als Kloster, sondern als Gebäude für den Abt von St. Gallen. Die Abtei regierte Rorschach bis 1798.

Die Kolumban Kirche (1782)

Die Franzosenzeit 1798-1813

Die Franzosenzeit beendete die (formale) politische Macht und den Besitz des Bischofs und des Abtes. Rorschach wurde eine Gemeinde im Kanton St. Gallen, Arbon 1803 im neuen Kanton Thurgau.

Nach der Auflösung des Bistums Konstanz (1803) war das Schloss lange Zeit im Besitz des Unternehmers Franz Xaver Stoffel. Er gründete die Seidenweberei Stoffel & Söhne, das erste Industrieunternehmen der Stadt. Arnold Baruch Heine gründete später die zweitgrösste Stickereifabrik der Welt!

Nach 1850 entwickelten sich die (Textil-)Industrie und das Handwerk rasant. Die Maschinenfabrik Sauer wurde sogar national und international führend bei Industrieanlagen, Maschinen und später bei Nutzfahrzeugen. Von 1890 bis 1910 wuchs die Bevölkerung von 2 500 auf fast 10 000 Einwohner.

Heute ist Arbon ein vielseitiges Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungszentrum und ein touristisches Ziel am Bodensee.

Auch nach der Unabhängigkeit als selbständige Gemeinde blieb Rorschach lange Zeit vor allem ein Hafen- und Handelszentrum. Das Kornhaus von 1749, also noch im Auftrag des Abtes, ist noch immer das Wahrzeichen der Stadt. Mehrere Stadtpalais im Zentrum erinnern an diese Epoche.

Schlussfolgerung

Arbon und Rorschach waren über Jahrhunderte nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und dynastische Konkurrenten. Wirtschaftliche Konkurrenten sind sie bis zu einem gewissen Grad immer noch, aber als Gemeinde sind sie politisch und verfassungsmässig unabhängig.

Trotz ihrer jahrhundertelangen politischen Unterordnung unter einem Bischof und einem Abt ist die Geschichte ihnen wohlgesinnt. Beide Städte konnten unter dieser Verwaltung Wohlstand und Kultur entwickeln, und die schlimmsten (Religions-)Kriege (wie auch die Reformation!) sind an ihnen vorübergegangen.

Eine Ausstellung (Mittelalter am Bodensee. Wirtschaftsraum zwischen Alpen und Rheinfall) im Landesmuseum Liechtenstein zeigt das regionale Handelsgebiet des Bodensees im Mittelalter.

Schon damals kümmerten sich Handel und Wirtschaft wenig um Politik und Landesgrenzen. Zudem war das Alemannische im Mittelalter die Sprache in dieser Region (abgesehen vom Lateinischen in kirchlichen, wissenschaftlichen und administrativen Kreisen).

Schon die ersten Pfahlbauer betrachteten die Lage am Bodensee (bis zum rasanten Aufstieg dessen Seepegels um 850 v. Chr.) als Nahrungs- und Klimaparadies. Das gilt auch heute noch für die Bewohner von Arbon und Rorschach, allerdings auch jetzt noch ohne Garantie für die Zukunft.

Korrektorin: Petra Ehrismann

Das internationale Unternehmen Würth siedelte sich 2008 in der Stadt an und eröffnete mit dem Forum Würth sein drittes Institut in der Schweiz.

Die Promenade mit der auf Stelzen gebauten Badeeinrichtung (Badhütte, 1924), den Handelshäusern, dem Seepark und dem Kornhaus verleiht der Stadt mediterrane Grandeur. 

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