Bundespräsident Ignazio Cassis. Foto/Photo: TES

Demokratie im Fokus

Die 98. Konferenz der Auslandschweizer Organisation (ASO) fand vom 19. bis 21. August in Lugano (Kanton Tessin) statt. Zentrales Thema war die Demokratie und der Platz und die Rolle der Schweiz und der Auslandschweizer.

Die Konferenz

Experten aus nationaler, kantonaler und kommunaler Politik, Wissenschaft und Verwaltung präsentierten ihre Erkenntnisse. Die Themen waren das Funktionieren des schweizerischen demokratischen Systems, Fake News und Demokratie, das Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige und E-Voting. Nach den Einführungen durch die Experten gab es in vier Workshops Möglichkeit zur Diskussion.

Filippo Lombardi, Präsident der ASO.

Eröffnung

Filippo Lombardi, Präsident der Organisation eröffnete zusammen mit Vertretern des Kantons und diverserOrganisationen der Zivilgesellschaft die Konferenz am 20. August vor 400 Teilnehmern.

In seiner Rede am 21. August betonte Bundespräsident Ignazio Cassis die Einzigartigkeit der schweizerischen direkten Demokratie und deren Herausforderungen. Nach einer kurzen Einführung in die europäische und globale Demokratie als Staatsform von 1800 bis heute, stellte er fest, dass die Demokratie heute unter Druck steht. Trotz der vielen Unsicherheiten und Krisen bestehe aber längerfristig kein Grund zum Pessimismus.

Er sieht es als einen Prozess mit Höhen und Tiefen. Wir leben heute ineiner Zeit, in der mehr Menschen unter diktatorischen und autokratischen Regimen leben. Liberale Demokratien haben jedoch einen entscheidenden Vorteil: Sie haben die Fähigkeit zur Selbstkorrektur und können sich an neue Umstände anpassen.

In der globalisierten Welt mit ihren grenzüberschreitenden Problemen ist multilaterale und europäische Zusammenarbeit notwendig. Gleichzeitig sind aber viele internationale Organisationen in einer anderen Zeit entstanden und haben Mühe, sich zu reformieren.

Was bedeutet das für die Demokratie in der Schweiz und damit für die „fünfte Schweiz“, die Auslandschweizer*Innen? Die Schweizer Demokratie ist keine göttliche Schöpfung, sondern muss täglich gepflegt werden. Sie ist nicht nur eine Demokratie für das Volk, sondern auch eine Demokratie durch das Volk. Es ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Bürgerinnen und Bürger, für sie zu sorgen.

Nach diesen Worten präsentierten die Experten ihre Meinungen und die Teilnehmer diskutierten nachher die verschiedenen Themen.

Schweizer im Ausland

Gemäss den Daten des ASO leben rund 780 000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland, davon rund 450 000 in den Ländern der Europäischen Union. Es ist daher

nicht verwunderlich, dass die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz zur Sprache kamen. Vor allem die Freizügigkeit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger in der EU müsse gewährleistet sein, so die ASO.

Für die Auslandschweizer ist die Stimmabgabe per Post nicht immer transparent, da sie von den lokalen und nationalen Postdiensten abhängig ist. Zudem hat sich die Auswanderung verändert. Bis 1960 wanderten die Menschen oft für immer aus. Heute ist es meist für eine kürzere oder längere Zeit. So wandern jedes Jahr etwa 40 000 Bürger aus, während 30 000 zurückkehren. E-Voting und Informationen über das Internet können das Engagement der Auslandschweizer erhöhen.

Ausländer in der Schweiz

Ein interessanter Aspekt ist die von einem der Experten hergestellte Beziehung zwischen Auslandschweizern und Ausländern in der Schweiz. Ausländer in der Schweiz haben oft keinen Schweizer Pass und damit keine politischen Rechte beziehungsweise kein Stimm- und Wahlrecht. Die Relativierung ist, dass das Bürgerrecht in der Schweiz seit Jahrhunderten auch eine kommunale und kantonale Angelegenheit ist. Dagegen stehen alle Ausländer*innen im Genuss der Grundrechte.

Alle Schweizer*innen haben ein Gemeindebürgerrecht, ein Kantonsbürgerrecht und ein Schweizer Bürgerrecht. Sie sind eine untrennbare Einheit (Art.37 Abs. 1 Bundesverfassung). Der Erwerb des Schweizer Bürgerrechts ist daher mit dem Erwerb eines Kantons- und eines Gemeindebürgerrechts verknüpft.  Über Änderungen für den Erwerb des Bürgerrechts stimmen am Ende immer die Kantone und das Volk (siehe auch die Referenden in den Jahren 1994, 2004 et 2008).

Die Parallele zum lange hinausgezögerten Frauenstimmrecht wurde erwähnt. Aber auch in diesem Fall ist ein Hinweis auf den konstitutionellen und föderalen Kontext angebracht.

In jedem Fall handelt es sich um einen wichtigen und aktuellen Punkt, ebenso wie das E-Voting, das (noch nicht absehbare) Risiken birgt, und die Frage der Fake News und der Demokratie. Das Wahlrecht von 16-Jährigen sollte sorgfältig geprüft werden und ist nicht selbstverständlich.

Ariane Rustichelli, Direktorin der ASO schloss die Konferenz mit einer Zusammenfassung der oben genannten Diskussionen. Die Kantone sind traditionell die Experimentiergärten für die (direkte) Demokratie. Was das passive und aktive Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer auf kommunaler und manchmal auch auf kantonaler Ebene betrifft, haben vor allem die französischsprachigen Kantone die Führung übernommen. Das E-Voting wird zuerst in den Kantonen und, wenn es nach der ASO geht, im Jahr 2027 auf nationaler Ebene eingeführt.

Ariane Rustichelli, Direktorin der ASO

Fazit

Eine anregende und gut organisierte Konferenz. Die Stadt war vor einigen Wochen auch Gastgeberin der Ukraine-Konferenz. Im Jahr 1830 präsentierte Lugano als Kantonshauptstadt schon die demokratischste Verfassung der Schweiz.

In Locarno, im selben Kanton, fand 1925 die neue Friedenskonferenz zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien, dem Vereinigten Königreich, Italien, Polen und der Tschechoslowakei statt. Es war eine Konferenz der neuen Hoffnung und Zusammenarbeit. Und das mit Erfolg, bis zum Oktober 1929.

Die Schlussworte des Präsidenten der ASO richteten sich nicht nur an die vierhundert Teilnehmer, sondern auch an die mehr als 780 000 Auslandschweizer. Sie sind nicht nur Botschafter, sondern nehmen auch aktiv am demokratischen Prozess in der Schweiz teil.

Ihre Erfahrungen im Ausland können dazu beitragen, das demokratische System in der Schweiz zu erhalten und falls nötig zu verbessern, Ihre Kenntnisse können vielleicht auch die Bürger in ihren Heimatländern inspirieren.

Was in der Schweiz gilt, gilt auch für Schweizerinnen und Schweizer im Ausland: Demokratie für das Volk, aber auch durch das Volk. Der rote Schweizer Pass bringt Verpflichtungen  für (Ausland) Schweizer, demokratische noblesse oblige.

Die rätoromanische Sprache

Eine kleine Anmerkung: Die Schweiz hat vier Amtssprachen, und das Rätoromanische könnte in der einen oder anderen Weise erwähnt werden, und das aus gutem Grund. Die Bündner Auswanderer*innen und Rückkehrer*innen haben sich ihren Platz in der Schweizer,  der europäischen und der Weltgeschichte verdient, allein schon wegen der kulinarischen Innovationen und der Entwicklung von (weltberühmten) Hotels, Restaurants und Cafés.

Zudem ist Graubünden als einer der Kantone mit (ehemaligen) Landsgemeinden eine Wiege der direkten Demokratie. Das Rätoromanische besteht zwar aus fünf Hauptidiomen, aber es gilt Rumantsch grischun als formelle/amtliche ‘Einheitssprache’.

Korrektorin: Petra Ehrismann

(Meer informatie: https://www.swisscommunity.org )