Chur,das Kantonswappen. Foto/Photo: TES

Die drei Bünde und Kanton Graubünden 1524-2024

Die Sprache im heutigen Graubünden war seit dem 5. Jahrhundert hauptsächlich rätoromanisch. Allmählich wuchs der Einfluss der deutschsprachigen Einwanderer (Alemannen) aus dem Norden und Westen (der Walser).

Politisch war das Gebiet (damals Rätien genannt) aufgeteilt in mehrere Herrschaften, Klöster, Grafschaften und befand sich teilweise im Besitz der Grafen von Tirol und später der Habsburger. Im Laufe des Spätmittelalters verloren diese Herrschaften zunehmend an Bedeutung.

Immer stärker waren die autonomen Gerichtsgemeinden. Viele Gemeinden wurden de facto eine kleine Republik oder ein Staat. Der Kaiser und das Heilige Römische Reich und ihre lokalen Herrscher als Vertreter blieben formell als übergeordnete Instanz von Bedeutung, aber vornehmlich auf Papier. Dies war einzigartig in Europa.

Diese Gemeinden waren keine Demokratien in heutigem Sinne. Die wichtigsten Ämter blieben meistens innerhalb der gleichen Familien und (religiöser) Machtmissbrauch, Stimmenkauf und Korruption gehörten zum Alltag. Es gab auch immer noch eine soziale Einteilung in Adlige und Kleriker,und andererseits die Bauern (Bürger/Kaufleute).

Zuoz, die Plantas waren, zum Beispiel, die mächtigste und führende Familie im Oberengadin

Und doch war diese politische und konstitutionelle Regierungsform einzigartig in Europa. Die Landsgemeinde spielte bei der zunehmenden Unabhängigkeit vom Landesherrn eine wichtige Rolle. In der Landsgemeinde entschieden die (männlichen) Bürger über Gesetze, politische Ämter, Richter, Krieg oder Frieden, Bündnisse und andere relevante Angelegenheiten.

Die Gemeinden waren jedoch in die europäische Machtskonstellation eingebettet und jedes Dorf hatte Verbindungen zu den damaligen Grossmächten Habsburg, Frankreich, Spanien, Venedig, dem Papst und dem Herzog von Milan über Dynastien, Verträge und Söldnerinteressen.

Die Bündner (und eidgenössischen) Söldner waren sehr gefragt nach Morgarten (1315), Sempach (1386), Näfels (1388), Aargau (1415), Thurgau (1460), Murten/Grandson/Nancy (1476-77) und schliesslich dem Schwabenkrieg/Schweizerkrieg/Engadinerkrieg (1499).

Auch die Lage von Graubünden war ideal: das Gebiet lag nahe an den damals (rund um 1500) wichtigsten Kriegsschauplätzen in Italien. Und zu Beginn des 16. Jahrhundert begannen die Drei Bünde selbst italienische Gebiete (das Veltlin,  Bormio und Chiavenna) zu erobern. Nach 1515 (Marignano) war Schluss damit.

Im Jahr 1367 wurde der Gotteshausbund gegründet, 1395 folgte der Graue oder Obere Bund und 1426 der Zehngerichtebund. Diese drei Bünde kooperierten auf dem Gebiet der Aussen-, Justiz- und Wirtschaftspolitik. Das Gebiet war formell Teil des Heiligen Römischen Reiches, agierte aber zunehmend unabhängig.

Grenzstein des Gotteshausbundes. Sammlung: Rätisches Museum Chur

Im Jahr 1367 wurde der Gotteshausbund gegründet, 1395 folgte der Graue oder Obere Bund und 1436 der Zehngerichtebund. Diese drei Bünde kooperierten auf dem Gebiet der Aussen-, Justiz- und Wirtschaftspolitik. Diese Bünde waren dezentrale Organisationen mit den vielen autonomen Gemeinden als Bausteine. Dieses System war nicht kompatibel mit dem Zentralismus und der top-down Organisation der Monarchien.

Der Gotteshausbund und der Graue Bund (1406), der Gotteshausbund und der Zehngerichtebund (1450/55) sowie der Graue Bund und der Zehngerichtebund (1471) schlossen untereinander auch Verbindungen ab. Es gab gemeinsame Beratungen und nach aussen traten sie als Gesamtstaat auf.

Trun, im heutigen Museum Sursilvan Cuort Ligia Grischa tagten die Abgeordneten des Grauen Bundes

Die drei Bünde wurden am 23. September 1524 zur Republik Freistaat der Drei Bünde. Diese Republik hatte bereits enge Kontakte mit der Eidgenossenschaft und den Status eines zugewandten Ortes. Diese Republik bestand bis 1798. Der Bundstag, die Tagsatzung der Abgeordneten der Freistaat, fand abwechselnd in Ilanz, Chur und Davos statt.

Bild: Marco Zanoli/Wikipedia

Das neue Bündnis war eine fast wörtliche Wiederholung der älteren Verträge (von 1406, 1450-55 und 1471), aber es gab auch neue Texte in Bezug auf die Verwaltung der Untertanengebiete (Das Veltlin, Bormio und Chiavenna), die Beziehung zur Eidgenossenschaft, das Söldnergeschäft, die Aussenpolitik, die Landeskriege und die Religion (die Ilanzer Artikel von 1524 und 1526).

In den Jahrhunderten nach 1524 hatten die Reformation und ausländische Einmischungen (z.B. während der Bündner Wirren 1618-1639) einen grossen Einfluss auf die neue Republik und ihre vielen autonomen Gemeinden und deren Interessen.

Das Wappen: linksoben der Graue Bund, rechtsoben der Zehngerichtebund mit den Farben Davos und unten der Gotteshausbund, der grösste Bund, und deshalb das halbe Wappen.

Die Dörfer und ihre wichtigsten Familien dachten und handelten europäisch nach eigenen Interessen.Sie hatten Verbindungen zu Protestanten, Katholiken, Habsburgern, zu Frankreich, Venedig oder anderen lokalen Machthabern. Das Söldnergeschäft florierte und Jörg Jenatsch (1596-1639) war nur einer der vielen Bündner Kriegsherren mit wechselnden Partnern – Republik oder nicht.

Die politischen Reformen Napoleons (1798-1813) waren schliesslich entscheidend für das Entstehen des Kantons Graubünden. Der Kanton entstand im Jahr 1803 als Mitglied der neuen Konföderation (1803-1813). Diese löste die Helvetische Republik (1798-1803) ab. Seit 1815 und 1848 ist der Kanton Mitglied der neuen Konföderation.

Chur, Regierungsgebäude des Kantons seit 1803

Quelle: E. Meyer-Marthaler, Studien über die Anfänge gemeiner Drei Bünde (Chur 1973); Website: Graubünden – Freistaat der Drei Bünde. Eine Chronologie 1524-2024 (https://500.gr.ch).

Korrektorin: Petra Ehrismann

Grenzsteine des Zehngerichtebundes (oben) und des Oberen/Grauen Bundes. Sammlung: Rätisches Museum Chur