Zermatt, Church of England. Photo/Foto: TES.

Die englische Kirche in Zermatt

Nichts auf der Welt konnte die Bewohner der Alpen dazu bewegen, als Freizeitbeschäftigung auf einen Berg zu gehen, geschweige denn Gipfel zu besteigen. Für die Bauernschaft bedeuteten die Berge bis ins 18. Jahrhundert vor allem Bedrohung durch NaturgefahrenDämonen und Fantasiewesen.

Im späten 18. Jahrhundert begannen sich jedoch Schriftsteller, Wissenschaftler und das, was wir heute Alpinisten nennen, für die Berge und ihre Flora und Fauna zu interessieren.

Jahrzehnte vor der englischen Bergsteigerzeit (um 1850) bestiegen zwei Franzosen aus Chamonix den Mont Blanc (1786), angeregt durch den Schweizer Wissenschaftler Horace-Bénédicte de Saussure (1740-1799).

Chamonix, Horace-Bénédicte de Saussure

Von einem touristischen Aufschwung konnte damals jedoch keine Rede sein, obwohl dieser Aufstieg in aller Munde war. Vielleicht haben die Französische Revolution und die nachfolgenden Kriege bis 1815 die weitere Entwicklung gestoppt.

Tatsache ist, dass die Briten um 1850 die Alpen und vor allem die Schweiz entdeckten. Die Begeisterung für die Flora und Fauna der Alpen, die Schönheit der Natur und die gesunde Luft (nicht unwichtig im England der industriellen Revolution) lösten einen regelrechten Boom aus.

Das Matterhorn

Das lag auch an der positiven Berichterstattung in (englischen) Medien, Politik und Wirtschaft über diese besondere Republik mit souveränen Kantonen in der Mitte Europas. Kurzum: Die Schweiz war en vogue, übrigens nicht nur für britische Touristen, sondern auch für politische Flüchtlinge aus europäischen Monarchien.

Zermatt war die unbestrittene Wiege der Bergsteiger. Der englische Gentleman nahm gewöhnlich auch seine Familie mit. Natürlich erwarteten sie Komfort, und die örtlichen Unternehmer, Hoteliers, Transportunternehmen mit Kutschen und Pferden (bis zum Aufkommen der Eisenbahn und später des Autos), Restaurants, kulturelle Veranstaltungen und andere Aktivitäten deckten den Bedarf.

Ein wichtiges Bedürfnis war es, einen Ort für die Gottesdienste der englischen (anglikanischen) Kirche zu haben. Zermatt war katholisch und es gab keine protestantische Kirche. Die Gottesdienste fanden zunächst in den Hotels Monte Rosa (Besitzer Alexander Seiler), Mont Cervin (Besitzer Joseph Clementz) und Hotel des Alpes statt.

Denkmal für Alexander Seiler (1819-1891) und Katharina Seiler (1834-1895) 

Mit finanzieller und politischer Unterstützung von Seiler und Clementz begannen englische Touristen Anfang 1865, Spenden für eine anglikanische Kirche zu sammeln. Doch dann ereignete sich eine Katastrophe. Die erste erfolgreiche Besteigung des Matterhorns am 14. Juli 1865 endete mit dem Tod von vier der sieben Bergsteiger. Unter den Opfern befand sich auch der Alpinist und Pfarrer Charles Hudson (1828-1865). Der Alpinismus, Zermatt und das Matterhorn hatten für einige Jahre einen schlechten Ruf.

Die Zeit heilt (viele) Wunden und der Baedeker (damals ein führender „Lonely Planet“) lobte Zermatt 1868 wieder. Zudem hatten unterdessen auch amerikanische Touristen ihren Weg dahin gefunden.

Der erste Gottesdienst in der neuen anglikanischen Kirche fand am 29. Juni 1870 statt. Der Bischof von Dover, Edward Parry (1830-1890), weihte die Kirche am 6. August 1871 ein. Der unglückliche Charles Hudson fand seine letzte Ruhestätte unter dem Altar der Kirche. Anderen abgestürzten Bergsteigern wurde ein Platz rund um die Kirche zugewiesen.

Zermatt war wieder der wichtigste Ort für Bergsteiger und die Kirche war die „Pfarrkirche des (britischen) Alpenvereins“ (the British Alpine Club), der 1857 in London gegründet worden war. Das Prestige war so gross, dass der britische Alpenverein sein hundertjähriges Bestehen in Zermatt und in der englischen Kirche feierte!

Nach 1870 kamen jedoch immer mehr Touristen auch aus anderen Motiven. Andere Sommer- und Wintersportarten entwickelten sich. Winston Churchill (1874-1961) besuchte Zermatt im Jahr 1894. Obwohl er unter anderem dafür bekannt ist, dass er keinen Sport (“ no sports”)trieb, war er in seinen jungen Jahren tatsächlich ein Sportler. Der Überlieferung nach soll er sogar den Monte Rosa (4634 m) bestiegen haben.

Nach 1945 haben sich die Herkuntsländer  der Touristen und ihre Aktivitäten geändert. Die anglikanische Kirche ist jedoch immer noch ein wichtiges Zentrum für (englischsprachige) Touristen und protestantische Gottesdienste.

(Quelle und weitere Informationen: Gemeinde Zermatt)

Korrektorin: Eva Maria Fahrni