Graubünden, die Wahlkreisen. Quelle: www.gr.ch/Kartenerstellung, GIS Kompetenzzentrum

Das Wahlsystem

Einleitung

Direkte Demokratie, Föderalismus und ein einzigartiges politisches System mit direkt gewählten Mitgliedern der Exekutive (Regierung) in Kanton und Gemeinde sind die Grundlage für die politische Stabilität des Landes.

Auf allen drei Ebenen, Gemeinde, Kanton und Bund, gilt zudem das Prinzip der Kollegialität: Die Regierung spricht mit einer Stimme.

Die Regierung kann nie vom Parlament abgesetzt werden; andererseits kann die Regierung keine vorgezogenen Wahlen ausrufen oder das Parlament auflösen.

Das Konkordanzsystem und die Zauberformel der nationalen Regierung bedeuten, kurz gesagt, dass die sieben Mitglieder nach einer festen Sitzverteilung pro Partei ernannt werden.

Sie spiegelt das politische Kräfteverhältnis über einen längeren Zeitraum wider. Ein grosser Wahlsieg einer neuen Partei führt nie sofort zu ihrer Aufnahme in die Regierung. Zunächst muss diese Partei ihre Stabilität und Nachhaltigkeit unter Beweis stellen.

Die sieben Sitze werden auf die vier grössten Parteien verteilt: 2-2-2-1, wobei manchmal eine Partei auf Kosten der anderen verliert. Letztlich stimmt aber die vereinigte Bundesversammlung über die Personen.

Das Wahlsystem

Ebenso entscheidend für die politische Stabilität ist aber auch das Wahlsystem. In der Schweiz gibt es zwei parallele Systeme: das Majorzsystem oder die absolute Mehrheit der Stimmen pro Kandidat und das Proporzsystem, das auf der Anzahl der Stimmen basiert, die eine Partei erhält.

Die Volksvertretung in der Gemeinde, im Kanton oder auf nationaler Ebene wird in den meisten Fällen (nicht in allen, siehe unten) nach dem Proporzsystem gewählt.

Der Ständerat wird jedoch pro Kanton auf der Grundlage des Majorzsystems gewählt. Pro Kanton gibt es zwei Sitze, nur Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Obwalden, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden haben jeweils nur einen Sitz (insgesamt 46 Sitze).

Die Regierungen der Gemeinden und Kantone (in der Regel 5-7 Mitglieder) werden nach dem Majorzsystem mit Ausnahme von den Kantonen Neuenburg und Jura (Proporzverfahren) direkt gewählt.

Die Vorteile

Das Proporzsystem stellt die Parteien in den Mittelpunkt. Das politische Profil ist stärker ausgeprägt und kleinere Parteien haben ebenfalls eine Chance.

Diese politische Profilierung ist bei einer absoluten Mehrheitswahl zwischen Kandidaten (nicht Parteien) weniger ausgeprägt. Es handelt sich um Einzelpersonen (die Mitglied einer Partei sind), die sich aber direkt den Wählern präsentieren müssen.

Sie können sich nicht hinter der Partei verstecken. Die Bindung zwischen Wähler und Kandidat ist viel stärker als bei anonymen Parteien.

Im Majorzsystem sind Mehrheiten mit reiner Ideologie nicht leicht zu erreichen. Man muss moderat sein, um Wähler aus der Mitte zu gewinnen. Letztlich geht es um die absolute Mehrheit. Das setzt die Bereitschaft zu Kompromissen voraus.

Es verhindert auch die Zersplitterung in zahlreiche kleine Parteien und es gibt den Regierungen Stabilität.

Das Wahlsystem bedeutet, dass das Parlament nach dem Proporzsystem gewählt wird; die Regierung durch die Wahl der absoluten Mehrheit für jeden Kandidaten.

Die Regierungen der Gemeinden und Kantone sind immer direkt mit den Wählern verbunden. Die Parlamente verbinden sich mit den Parteien.

Die Wahlkreise

Die Kantone organisieren die Wahlen für den (nationalen) Ständerat und das Parlament und die Regierung des Kantons.

Die Wahl der Regierung (5 oder 7 Mitglieder) und der 2 (oder 1) Mitglieder des Ständerats pro Kanton findet in Wahlkreisen statt.

Der Kanton wird in Wahlkreise eingeteilt, wobei in mehrsprachigen Kantonen auch auf die Repräsentativität geachtet wird.

Bei der Wahl der Parlamente gilt das Proporzsystem. Eine Reihe von Kantonen, darunter Schwyz, Graubünden, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, haben jedoch Wahlkreise mit dem Majorzsystem.

Das Bundesgericht hat entschieden, dass dies in einigen Fällen nicht mit der Demokratie vereinbar ist. Die Bedingung der demokratischen Wahlen ist in diesem Fall nicht erfüllt (Art. 51-1 Bundesverfassung).

Jede Stimme hat den gleichen Wert und muss daher zählen. Aus diesem Grund hat das Bundesgericht am 26. September 2014 (Appenzell Ausserrhoden) und am 26. September 2019 (Graubünden) entschieden, dass das Majorzsystem in einigen Wahlkreisen die Wählerinnen und Wähler nicht ausreichend repräsentiert.

Ein Majorzsystem in einem Wahlkreis ist möglich, aber nur unter bestimmten Bedingungen (z.B. wenig Einwohner, geringe Bedeutung der politischen Parteien).

Aus diesem Grund führt Graubünden für die Parlamentswahlen 2022 ein neues System ein. Dieses System wurde am 13. Juni in einer Volksabstimmung angenommen.

Schlussfolgerung

Das Wahlsystem auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene ist in allgemeiner Form diskutiert worden.

Parlamente, die auf dem Proporzsystem basieren, geben jedem Bürger und jeder Bürgerin eine Stimme, die zählt. Das ist der Sinn einer Volksvertretung.

Anders ist es bei der Regierung und dem Ständerat. Der Wähler schaut zuerst auf die Person. Das Majorzsystem basiert darauf, dass „der Beste gewinnen möge“. Es gibt auch eine starke Verbindung zwischen den Wähler*innen und den Politiker*innen.

Das Bundesgericht beaufsichtigt die Kantone, damit sie nicht mit den Wahlkreisen feilschen.

Das Wahlsystem ist ein relativ gut funktionierendes Konstrukt  aus Direktwahlen für Einzelpersonen für die Regierung und durch Parteien für das Parlament.

Quelle: U. Häfelin, W. Haller, H. Keller, D. Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Basel 2020); A. Auer, Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Bern, 2016).

Korrektorin: Melinda Fechner