L'entrée du Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds. Foto/Photo: TES

Das internationale Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds, wo die Zeit niemals stillsteht

In unserer modernen Gesellschaft sind alle mit den Begriffen Sekunde, Minute, Stunde, Tag, Woche, Monat, (Schalt-)Jahr, Jahrzehnt, Jahrhundert, Jahrtausend, Tag, Nacht und Jahreszeiten vertraut.

Aber wer weiss schon, dass ein Jahr nicht genau 365 oder 366 (Schaltjahr), sondern „nur“ 365, 2425 Tage hat (die genaue Dauer eines Umlaufs der Erde um die Sonne)?

Wer kennt die Femtosekunde (ein Billionstel einer Sekunde), eine Nanosekunde (ein Milliardstel einer Sekunde) oder eine Mikrosekunde (ein Millionstel einer Sekunde) oder hat gar eine Vorstellung davon?

Ausrüstung für die Femtosekunde. Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds.

Diese Zeiteinheiten sind im Alltag vielleicht nicht so relevant, aber für Wirtschaft, Informatik, Telekommunikation, Luftfahrt, Astronomie, Raumfahrt, Satelliten, Computer, künstliche Intelligenz, Klimaforschung und andere (wissenschaftliche) Anwendungen sind sie von grundlegender Bedeutung.

Das internationale Uhrenmuseum (Le Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds, Kanton Neuenburg), zeigt unter anderem diese moderne Zeitmessung, ihre Anwendungen und ihre Geschichte.

Die Schweiz ist seit Jahrhunderten weltweit führend in der Innovation, der Produktion, der Vermarktung und dem globalen Export von Uhren und anderen Geräten zur Zeitmessung.

Le Locle, Tissot

Die Messungen des Observatoriums von Neuenburg (1858-2007) gelten noch immer als die besten der Welt. Viele Dörfer und Städte, vor allem in den Kantonen Genf, Waadt, Bern, Jura, Neuenburg und Schaffhausen, produzieren oder produzierten weltbekannte oder weniger bekannte Marken und leisten Pionierarbeit auf dem Gebiet der Zeitmessung und Astronomie.

Die internationalen Vereinbarungen (le Temps atomique international, TAI) von 1967 über die Atomsekunde als Zeiteinheit sind ein Ergebnis der Forschung an diesem Observatorium. Im Jahr 2007 wurden die Aktivitäten des Observatoriums an die Universität Neuenburg und das CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) übertragen.

Das Observatorium von Neuenburg

Es ist kein Zufall, dass sich in La-Chaux-de Fonds das modernste Zeitmessungsmuseum der Welt mit der grössten Sammlung von Geräten und seiner jahrtausendealten Geschichte befindet. Dieses Museum befindet sich nämlich in der „Métropole horlogère„, die zusammen mit Le Locle das tickende Herz der weltweiten Uhrenproduktion und auch Unesco-Weltkulturerbe ist.

Neuenburg, das CSEM

La Chaux-de-Fonds und Le Locle (Kanton Neuenburg) widmen sich seit Jahrhunderten fast ausschliesslich der Forschung und Produktion von Zeitmessgeräten. Auch Stadtplanung, Wohnungsbau, Bildung, Fabriken und Wohlstand sind darauf ausgerichtet.

Das Musée d’horlogerie du Locle und die Ausstellung im Rathaus von Le Locle bieten ebenfalls einen Überblick über diese Geschichte.

Le Musée d’horlogerie in Le Locle

Anlässlich des Jubiläumsjahres der Eröffnung des Museumsgebäudes im Jahr 1974 konzentriert sich dieser Beitrag auf dessen Sammlung.

Das Museum in Le Locle wird in einem separaten Beitrag behandelt, ebenso wie einige andere führende Museen in diesem Bereich (darunter Longines in St. Imier, Omega und Swatch in Biel, Audemars Piguet in Le Brassus, Patek Philippe in Genf, Beyer in Zürich und IWC in Schaffhausen sowie das wissenschaftliche Institut CSEM in Neuenburg).

Eingang des Uhrenmuseums in La Chaux-de-Fonds

Das Museum in La Chaux-de-Fonds wurde 1902 gegründet und war zunächst in der École de l’horlogerie untergebracht. Seit 1974  befindet es sich in einem aufsehenerregenden Komplex, nämlich einem Gebäude aus Beton und weitgehend unterirdisch im sogenannten Parc des Musées (Museumspark). Die anderen Museen im Park sind das historische Museum und das Kunstmuseum von La Chaux-de-Fonds.

Wer das Museum besucht, sollte sich Zeit nehmen. Die Sammlung ist umfangreich, sowohl thematisch als auch chronologisch geordnet, mit interaktiven, schriftlichen und audiovisuellen Führungen in Französisch, Deutsch und Englisch. So wie ein Blick durch ein Fernrohr in einer Sternwarte nicht langweilt, so faszinieren auch die Geschichte, die Geräte und die Entwicklungen der Zeitmessung.

Fernrohr des Observatoriums von Neuenburg. Le Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Die Sammlung basierte ursprünglich auf Schenkungen von Industriellen aus der Region und Lehrern der École de l’horlogerie. Die Société des fabricants d’horlogerie war lange Zeit der Hauptspender. Nach und nach nahmen (internationale) Schenkungen, Vermächtnisse und Ankäufe anderer einen immer wichtigeren Platz ein.

Das weltweite Renommee sowie die (finanzielle) Unterstützung verschiedener Organisationen (u. a. der Fondation Maurice Favre und der Association des AmisMIH) sind die Motivation für zahlreiche grössere und kleinere Legate und Spenden. Eine aktuelle Ausstellung ist den Legaten aus den einzigartigen Sammlungen von Eduard Streit (1939-2023) und Michel Huber (1950-2023) gewidmet.

Der Gnomon, eines der ältesten Instrumente der Zeitmessung. Skulptur aus dem Jahr 2014 anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Sammlung antiker Sonnenuhren des Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Die alten Ägypter waren zwar noch nicht in der Lage, Stunden oder Sekunden anzuzeigen, aber sie kannten bereits die Beziehung zwischen Sonne und Erde, Kalender, Tage, Monate, Jahre und ihre Zeitmessung. Auch in Babylon, im Persischen Reich und in anderen Gebieten des Nahen und Fernen Ostens, einschliesslich China, beschäftigten sich Wissenschaftler bereits mit der Zeitmessung. Das Museum beginnt also mit dieser Geschichte.

Kopie der Klepsydra aus Karnak (Ägypten), um 1400 v. Chr. Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Die ägyptische Klepsydra und der Gnomon (die Griechen gaben dieser ägyptischen Erfindung den Namen) sind die ältesten Beispiele für die Zeitmessung. Im 14. Jahrhundert wurden die ersten astronomischen Uhren entwickelt. Bis zum Aufkommen der mechanischen Uhr am Ende des Mittelalters war die Astronomie die wichtigste Wissenschaft zur Zeitmessung.

Das planetarium von Giovanni Dondi (1330-1388). Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Die Griechen und Römer entwickelten das System weiter, und der (römische) julianische Kalender war noch bis 1582 das formale Mass für die Zeit in Tagen, Monaten, Wochen und Jahren. Die Einführung des Gregorianischen Kalenders im Jahr 1582 basierte damals auf neuen Zeitmessungen.

Eine genaue Anzeige von Stunden und Sekunden war jedoch noch nicht möglich. Der Sonnen auf- und -untergang sowie die Jahreszeiten bestimmten bis ins Hochmittelalter weitgehend den Tagesrhythmus. Sonnenuhren, Wasseruhren, Sanduhren, Kerzen, Baumringe und andere Hilfsmittel bestimmten die Zeiteinheiten.

Sammlung von (antiken) Sanduhren. Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Bis ins Mittelalter spielten manuell betriebene Kirchenglocken eine wichtige Rolle im täglichen Leben und in den Klöstern der christlichen Welt.

Mechanismus einer mittelalterlichen Kirchenglocke, vertikaler Mechanismus mit Schwerkraft (Gewichte). Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Im späten 14. und vor allem im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich die mechanische Zeitmessung sehr schnell. Es ist kein Zufall, dass die erste mechanische Uhr auf einem Kirchturm installiert wurde (Salisbury Cathedral, 1386). Die Zytglogge in Solothurn oder Bern sind weltliche Beispiele in der Schweiz. Die astronomische Uhr in Prag ist ebenfalls weltberühmt.

Das Uhrwerk einer modernen Kirchenuhr, horizontales Uhrwerk ohne Schwerkraft. Modell des Grand Temple. Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Es gab keinen einzelnen Erfinder, sondern eine Reihe aufeinander folgender innovativer Anwendungen und Entdeckungen, u. a. in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, England und der Schweiz.

Obwohl es zu viele Erfinder und Forscher gibt, um sie einzeln aufzulisten, wird eine Ausnahme für Christiaan Huygens (1629-1695) gemacht. Er nimmt unter mehreren anderen Erfindern einen besonderen Platz ein. Dabei waren seine Erfindungen so klein wie wichtig für die Entwicklung der Zeitmessung, nämlich das Pendel und das Pendelgesetz und der Spiralfeder in der ‚Unrueh‚. Die Unrueh ist das zentrale Steuermechanismus eines Zeitmessers.

Das Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds und die Stiftung (Stichting) Haegsche Tijd organisieren im Jahr 2025 eine Ausstellung zum Gedenken an die Erfindung des Spiralfeders im Jahr 1675.

Sein System für die Pendel- und Taschenuhr in Wort und Bild. Im Vordergrund eine Pendeluhr aus dem Jahr 1690 von Pieter Visbagh (1634-1722). Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds.

Die ersten Standuhren (Pendulen) tauchten auf, gefolgt von den Taschenuhren. Diese wurden immer genauer, funktioneller, schöner und sogar zu wahren Kunstwerken. Das Museum bietet einen chronologischen Überblick über die wichtigsten Erfinder, Anwendungen und Entwicklungen bis ins 21. Jahrhundert.

Das Besondere an dem Museum ist nicht nur seine Sammlung und die angemessene Gestaltung. Das Gebäude ist unterirdisch und besteht aus Beton, an sich ein kühles Material. Dennoch fühlt sich der Besucher in einem warmen Bad aus Zeitmessung, Geschichte, Kunst, Information und Uhren.

In der Schweiz gab es vorher bereits mehrere monumentale Gebäude aus Beton, darunter die Kirche von Hérémence (l’église Saint-Nicolas, Kanton Wallis) und die Antoniuskiche in Basel. Für ein Museum ist es jedoch ein neues Konzept.

Die Architekten Pierre Zoelly (1923-2003) und Georges-Jacques Haefeli (1934-2010) griffen nicht nur auf die Architektur des in La Chaux-de-Fonds geborenen und ausgebildeten Le Corbusier (1887-1965) zurück, sondern berücksichtigten auch die Umgebung (le Parc des Musées) sowie die Sammlung und Funktionalität des Museums.

Eine aktuelle Ausstellung im Museum ist der Entstehung dieses Komplexes gewidmet. (Für weitere Informationen: N. Maillard, Le Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds, Société d’histoire de l’art en Suisse, 2024, auch auf Deutsch und Englisch erhältlich).

Darüber hinaus ist es auch ein Kunstmuseum: Kreativität und Kunststile ab dem 16. Jahrhundert kommen zum Ausdruck, z. B. schön verzierte astronomische Kunstwerke aus dem 16. Jahrhundert, Damen- und Herrentaschenuhren aus dem 17. Jahrhundert, Gemälde, Möbel und Interieurs, Pendel aus dem 18. Jahrhundert, die ersten Armbanduhren, Chronometer, Stoppuhren und Quarz-, Elektronik- und Atomanwendungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert.

Unbekannter holländischer Meister, um 1750, Gentilhomme mit Taschenuhr. Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Und ausserdem ist es auch ein historisches Museum. Die Geschichte der Zeitmessung hält Schritt mit den sozialen, internationalen, industriellen, religiösen und technischen Entwicklungen und den alten und neuen Reichen und ihren Herrschern.

Werkstatt eines Uhrenherstellers, Anfang des 20. Jahrhunderts. Sammlung: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Zahlreiche schweizerische und internationale Persönlichkeiten tauchen in diesem Zusammenhang auf. Mehrere einzigartige Uhren, (astronomische) Uhren und moderne Geräte zur Zeitmessung werden hervorgehoben, z. B. La Merveilleuse (1878) von Ami Lecoutre (1843-1921), die Erfindung des Tourbillons (1801) von Abraham-Louis Breguet, die Planétaire (1816) von Francois Ducommun und die modernsten Chronometer.

François Ducommun, Planétaire, 1816. Sammling: Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds

Verschiedene Modelle, Objekte und Dokumentationen geben einen Einblick in die Funktionsweise eines Zeitmessers, von der kleinen Uhr bis zur grossen Kirchenuhr. Es gibt Nachbildungen von Werkstätten für Produktion, praktische Anwendungen werden erklärt, z. B. in der Schifffahrt, der wissenschaftlichen Forschung, im täglichen Leben, in der Wirtschaft, in der Mode oder in der Inneneinrichtung.

Die Werkstatt im Uhrenmuseum von La Chaux-de-Fonds

In einer Werkstatt erhalten die Besucher einen Einblick in die modernsten Techniken der Horlogerie. Das Archiv und die Bibliothek sind auf Anfrage zugänglich.

Collagen zum Thema Zeit („La vitesse est relative, mais le temps est absolu“ (Geschwindigkeit ist relativ, aber die Zeit ist absolut), Bahnhof La Chaux-de-Fonds 

Die Zeit hat auch einen philosophischen Aspekt, ebenso wie die Zahl «Null. Was ist Zeit überhaupt? Das Universum ist etwa 14 Milliarden Jahre alt, die Erde etwa 4 Milliarden Jahre.

Nur die Menschheit macht sich seit Jahrtausenden Gedanken über die „Zeit“ und will sie ordnen. Wie viele Femtosekunden das Universum und die Erde schon existieren, entzieht sich jedoch dem menschlichen Verständnis.

Hans Erni (1909-2015) schuf drei Fresken für die Weltausstellung 1958 in Brüssel: La conquête du temps (Die Eroberung der Zeit), Histoire de la Mesure du temps (Geschichte der Zeitmessung) und Technique de la Mesure du temps (Technik der Zeitmessung). Das Bild ist ein Ausschnitt aus dem Fresko, Technique de la Mesure du temps: Der moderne Mensch und der Kampf mit der Zeit, symbolisiert durch einen alten Mann mit Sanduhr und Sense (Vergänglichkeit). Die drei Fresken sind im Internationalen Uhrenmuseum von La Chaux-de-Fonds ausgestellt.

Das Museum zeigt auf einzigartige und faszinierende Weise die Messung der Zeit in den letzten 5 000 Jahren.

Das symbolische, funktionale und künstlerische Glockenspiel  (Carillon) von 1980 (Künstler: Onelio Vignando, 1914-2021) neben dem Museum im Museumpark 

(Quelle und weitere Informationen: C. Cardinal, J.-M. Piguet, Catalogue du Musée international d’horlogerie, La Chaux-de-Fonds,1999; M. Leonhardt, L’heure, et plus encore Montres à complications de la collection du Musée international d’horlogerie, Neuchâtel, 2018; Le Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds)

Impressionen vom Uhrenmuseum ‚Musée international d’horlogerie de La Chaux-de-Fonds‘