Campione, Casino municipale. Foto/Photo: TES

Eine deutsche und italienische Enklave in der Schweiz

Die Grenzen der Kantone in der Schweiz haben eher das Muster eines Flickenteppichs. Fährt man zum Beispiel mit dem Auto oder dem Fahrrad südlich des Murtensees, befindet man sich abwechselnd in den Kantonen Waadt, Freiburg oder Bern. Auch in anderen Regionen sind die Kantonsgrenzen oft sprunghaft.

Der Ursprung dieser Grenzen geht auf das Mittelalter und das 16. Jahrhundert zurück.  Später wurden die Grenzen der (neuen) Kantone in der napoleonischen Ära (1803-1813) und in der neuen Eidgenossenschaft von 1815 festgelegt. Die kantonalen Enklaven sind keine Ausnahme. Allerdings handelt es sich dabei um Schweizer Territorium.

Bemerkenswert ist auch das rechtsrheinische Schweizer Territorium, dessen Ursprünge auch im Mittelalter liegen. Der Kanton Schaffhausen liegt grösstenteils auf dem rechten Rheinufer, einer Art Schweizer Enklave in Baden-Württemberg. Nur die Kantone Basel-Stadt und Zürich haben Gebiet am rechten Rheinufer. (Ausser vielleicht Diepoldsau (kanton St. Gallen) am Alten Rhein). Der Rhein ist ansonsten seit der napoleonischen Zeit die Landesgrenze.

Die Schweiz hat jedoch auch eine deutsche (Büsingen im Kanton Schaffhausen) und eine italienische (Campione im Kanton Tessin) Enklave.

 Büsingen

Wenige Kilometer von der Stadt Schaffhausen entfernt liegt das deutsche Dorf Büsingen am Rhein. Nach ein paar Minuten auf dem Fahrrad ist man jedoch wieder in der Schweiz. Das Aussehen des Dorfes ist schweizerisch und 95% der Berufsbevölkerung arbeitet in der Schweiz. Nur das Nummernschild (BÜS), die Bushaltestelle, die Banken und die Briefkästen sind deutsch. Die Telefonvorwahl (052 für die Schweiz und 07734 für Deutschland) sowie die Postleitzahl (CH-8238) und die deutsche (D-78266) sind jedoch gemeinsam, ebenso wie die Schweizer und deutschen Telefonzellen in der Vergangenheit.

Julian Fleischer/ Wikipedia

Geschichte 

Die Anwesenheit der Habsburger ist auch in diesem Fall von Bedeutung. Bis zur napoleonischen Ära waren die Habsburger in Süddeutschland als Grossgrundbesitzer und als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches vertreten. Büsingen war im Besitz der Habsburger. Schaffhausen unternahm im 18. Jahrhundert mehrere Versuche, das Dorf zu erwerben, aber Habsburg wollte es nicht aufgeben.

Dörflingen. 1770 gelingt es Zürich, von Österreich die Hoheitsrechte des Dorfes Dörflingen zu erwerben. Bereits 1798 wurde Dörflingen  zu Kanton Schaffhausen geschlagen. Seither is Büsingen eine deutsche Enklave in der Schweiz 

Das Königreich Württemberg erwarb das Dorf 1805 (Vertrag von Pressburg), 1810 ging es an das Grossherzogtum Baden. Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) fiel das Dorf an die Weimarer Republik, um nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) Teil des Landes Baden-Württemberg zu werden.

Die Bergkirche St. Michael, 11. Jahrhundert

Die Alte Mühle

1918 entschieden sich 96 % der Büsinger Bürger für den Anschluss an die Schweiz, der jedoch nicht erfolgte, weil die Schweiz dies ablehnte (gleich dem Wunsch der Einwohner Vorarlbergs im Jahr 1919).

Ein Staatsvertrag von 1964 regelt seither juristische-, soziale und Steuerbezogene Fragen für die rund 1500 Einwohner und eine Zollunion mit der Schweiz, wobei die Rechtslage bisweilen kompliziert bleibt, teils gilt deutsches, teils schweizerisches Recht.

Die Einführung des Euro erschwert die Situation zusätzlich. Etwa 95 % der erwerbstätigen Bürger arbeiten in der Schweiz und erhalten ihre Gehälter in Schweizer Franken. Die Steuern werden jedoch nach Umrechnung in DM und seit 2002 in Euros in Deutschland gezahlt. Da die DM seit 2002 rund 55 % und der Euro rund 20 % gegenüber der Schweizer Währung an Wert verloren haben, ist der Steuerertrag viel höher, während das Preisniveau schweizerisch ist.

Campione und der San Salvatore

Campione

Campione d’Italia, eine Gemeinde am Luganer See, die zur Provinz Como gehört, hat ein ähnliches Problem. Seit dem 1. Januar 2020 hat diese Gemeinde keine Zollunion mehr mit der Schweiz, und der Anstieg des Schweizer Frankens war eine der Ursachen für das Problem des Kasinos, ihres wichtigsten Arbeitgebers (Campione hat jedoch mehr zu bieten als das Kasino). Ab 2002 wurden die Einnahmen in Euros berechnet, die Gehälter waren jedoch in Schweizer Franken. Heute ist nur noch der Euro gesetzliches Zahlungsmittel.

 Geschichte

Das Dorf Campione war von 789 (!) bis 1797 im Besitz des Benediktinerklosters Sant’Ambrogio in Mailand.  Napoleon, er wiederum, schloss die Gemeinde 1797 der von ihm gegründeten Cisalpine Republik (1797-1805) an. Im Jahr 1861 wurde die Gemeinde Teil des Königreichs Italien. Als italienische Gemeinde in der neutralen Schweiz traf Campione 1944 die (weise) Entscheidung, Mussolinis Repubblica Sociale Italiana (die berüchtigte Repubblica de Salò) nicht anzuerkennen.

Schlussfolgerung

Heute sind die beiden Enklaven eher ein Kuriosum als eine Quelle für potenzielle Konflikte. Die praktischen Alltagsgeschäfte sind geregelt. Ein Privileg der Einwohner von Campione gehört der Vergangenheit an: Die Provinz Como erstattet die teure Schweizer Krankenversicherung nicht mehr. Die Einwohner müssen sie selbst bezahlen oder eine italienische Versicherung abschliessen. Ausserdem müssen Autos seit 2020 in Como angemeldet werden.

Der Fussball hingegen verbindet: Die lokalen Fussballvereine FC Büsingen und Campionese sind die einzigen deutschen bzw. italienischen Vereine in der Schweizer Fussballliga.

(Quelle: Historisches Lexicon der Schweiz: M. Dubini, Campione d’Italia und F. Götz, Büsingen)

 

Die Kirche Santa Maria dei Ghirli (674) und ihre Fresken (13.-18. Jahrhundert)

Oratorio de San Pietro (1148)

Campione

Korrektorin: Petra Ehrismann