Rheichenau-Niederzell, St. Peter und Paul Kirche. Foto/Photo: TES

Insel Reichenau und Arenenberg

Es ist nicht bekannt, ob Hortense de Beauharnais (1783-1837), Tochter von Joséphine de Beauharnais (1763-1814) und Stieftochter von Napoleon Bonaparte (1769-1821) und ihr Sohn Louis-Charles Bonaparte (1808-1873), der spätere Kaiser Napoleon III. von Frankreich, während ihres Aufenthalts auf dem Arenenberg (1817-1837) in der Gemeinde Salenstein (Kanton Thurgau) oft die Insel Reichenau besuchten, um die Messe in einer der drei romanischen Kirchen zu besuchen. Auf jeden Fall blickten sie täglich auf die Insel.

Der Arenenberg 

Die Insel Reichenau 

Die Klosterinsel Reichenau

Die Klosterinsel Reichenau, seit dem Jahr 2000 Unesco-Welterbe, war vom 8. bis 12. Jahrhundert eines der kulturellen und religiösen Zentren Europas. Der irische Mönch Pirmin gründete das Kloster im Jahr 724 unter der Herrschaft der Merowinger.

Seine grösste Blütezeit, das Goldene Zeitalter, erlebte das Kloster während der Karolingerzeit unter Karl dem Grossen (748-814) und seinem Sohn Ludwig dem Frommen (778-843). Im Karolingerreich (800-843) gab es etwa 800 Benediktinerklöster. 80 dieser Klöster, darunter  Reichenau, unterstanden direkt dem Kaiser.

Das Kloster führte das neue Bildungssystem Karls des Grossen und die neue Schrift (die karolingische Minuskel) ein. Im Kloster wurde unterrichtet, studiert, Musik gespielt und  es entstanden religiöse Wandmalereien und illuminierte Handschriften.

Kurz gesagt, es war ein Zentrum der so genannten „karolingischen Renaissance“ mit einer grossen Bibliothek, einem Klostergarten und einem Skriptorium. Etliche der im Reichenauer Skriptorium angefertigten Handschriften werden im Stiftsarchiv St. Gallen aufbewahrt. Auch der berühmte Klosterplan von 830 befindet sich dort.

Liber Viventium Fabariensis, um 810-820, Stiftsarchiv St. Gallen

Die Bildung kam der politischen und religiösen Elite (Äbte und Bischöfe) des Reiches zugute. Die wichtigsten Äbte waren Waldo, Strabo und Heito.

Das Kloster Reichenau unterhielt enge Beziehungen zu verschiedenen Bistümern (vor allem Basel, Konstanz und Chur sowie zum Erzbistum Mainz) und unter anderem zu den Abteien in Schaffhausen, St. Gallen, Fulda und Lindau.

Die zweite Blütezeit, das Silberne Zeitalter, fand unter den ersten (sächsischen) Kaisern des Heiligen Römischen Reiches (962-1024) statt. Abt Bern war der bedeutendste Abt in dieser Zeit.  Im Jahr 1803 wurde das Kloster aufgelöst.

Die neue Bibliothek der Abtei in Reichenau-Mittelzell (1616). Sie wurde im 19. und 20. Jahhundert erneut renoviert.

Der Klostergarten

Die ersten Steine der Abtei stammen aus dem 8. Jahrhundert. Danach wurden die Klosterkirche St. Maria und Markus und der Klosterkomplex bis zum 17. Jahrhundert häufig umgebaut, wobei romanische und gotische Elemente erhalten blieben.

Ausserdem gab es auf der kleinen Insel rund 20 weitere Kapellen und Kirchen. Von diesen sind zwei erhalten geblieben. Die Kirche St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell wurde im Jahr 799 geweiht. Ihr Gründer, Bischof Egino von Verona (730-802), ist im Chor begraben. Im Jahr 1134 wurde die Kirche vollständig im romanischen Stil umgebaut. Der Einfluss der lombardischen Kunst ist in Skulpturen, Fresken und anderen Kunstwerken gut zu erkennen.

Die Kirche St. Peter und Paul

Die St. George Kirche

Die St. Georgs-Kirche in Reichenau-Oberzell wurde im späten 9. Jahrhundert von Abt Hato gegründet. Ihre grossflächigen romanischen Fresken stammen aus dem späten 10. Jahrhundert. Sie stellen die Wunder Jesu und seine Macht über die Natur, die Krankheit, das Leben und den Tod dar. Diese Fresken und das Skriptorium weisen denselben Stil auf. Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts erlebten die Wandmalerei und die Buchmalerei auf der Reichenau ihre Hochblüte.

Reliquien

Die drei berühmtesten Reliquien sind die Gebeine des heiligen Markus im Schrein und das heilige Blut Christi im byzantinischen Kreuz in der Klosterkirche Maria und Markus sowie der Schädel des heiligen Georg in der St. Georgskirche.

Die Gebeine des heiligen Markus

Das heilige Blut Christi im byzantinischen Kreuz

Am 25. April findet die Prozession mit den Gebeinen des Evangelisten Markus statt, am Montag nach Pfingsten die jährliche Heilig-Blut-Prozession. Diese Tage sind auf der Insel gesetzliche Feiertage und gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Landwirtschaft und Weinbau

Trotz der Auflösung der Abtei und dem Verschwinden der meisten Kirchen haben diese Jahrhunderte der religiösen Besiedlung die Insel für immer verändert, insbesondere durch die jahrhundertelange Pflege der Landwirtschaft und des Weinbaus. Im Jahr 1492 war die Insel ein wahres Weinbauparadies, das mit etwa 200 Hektar Weinbergen seine grösste Ausdehnung erreichte. Heute sind es nur noch 5-10 Hektar.

Die Abtei und der Weinbau um 1700. Bild. Museum Reichenau-Mittelzell

Nach der Aufhebung der Abtei im Jahr 1803 wurde das Ackerland von Privatpersonen aufgekauft. Heute ist die Insel immer noch landwirtschaftlich orientiert und hat etwa 145 Bauernhöfe, die sich hauptsächlich dem Gemüseanbau widmen. Auf weniger als 200 Hektar werden jährlich bis zu 14 Millionen Gurken, 2 000 Tonnen Tomaten und 5 Millionen Köpfe Blattgemüse geerntet! Das milde Klima und die fruchtbaren Böden sind die Grundlage dafür.

Fazit

Hortense und Ludwig III. waren nicht besonders religiös. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich an diesen alten Traditionen beteiligten. Beide hinterliessen jedoch zahlreiche eigene „Reliquien“ in ihrem Arenenberg.

Diese sind im Gegensatz zu den oben erwähnten Reliquien das ganze Jahr über für die Öffentlichkeit zugänglich.  Von der Klosterinsel Reichenau aus ist der Arenenberg gut zu sehen. Bei der Ankunft der neuen Bewohner des Arenenbergs im Jahr 1817 gab es in der Abtei kein Klosterleben mehr. Das kulturelle und landwirtschaftliche Erbe war aber auch für die Bewohner des Arenenbergs täglich spürbar.

(Quelle: Klosterinsel Reichenau; T. John, Die Klosterinsel Reichenau im Bodensee, Beuron, 2006)

Korrektorin: Eva Maria Fahrni

Burg und Häuser in Reichenau-Mittelzell

Museum Reichenau-Mittelzell

Reichenauer Verbrüderungsbuch, 824.  Museum St. Peter en Paul Museum, Reichenau-Niederzell