Die Arena des ESAF 2022, Pratteln. Foto/Photo: TES

Schwingen in der Schweiz

Am vergangenen Wochenende (26.-28. August) fand in Pratteln (Kanton Basel-Landschaft) das Sportereignis des Jahres in der Schweiz statt. Dabei ging es nicht um Skifahren, Langlaufen oder Skispringen, auch nicht um Wandern, Bergsteigen, Radfahren oder Rudern (der jährliche Bilac)   findet erst am 17. September statt).

Der Anlass, der seit 1895 vom Eidgenössischen Schwinger- und Älplerfest (ESAF) organisiert wird, konzentriert sich auf drei Sportarten: Schwingen, Steinstossen und Hornussen.

Die Veranstaltung begann am Freitag, 26. September, mit einem Festumzug. Über 4’000 Personen, 250 Tiere und 90 Gruppen, verschiedene Berufsgruppen und kulturelle Vertretungen der mehr als 100 Nationalitäten unter den Einwohnern Prattelns nahmen daran teil.

Bahnhof Pratteln heisst die 26 Kantone Willkommen.

Das Schwingen

Das Schwingen (französisch la lutte) gibt es schon seit Jahrhunderten. Die ersten Quellen stammen aus dem Spätmittelalter (1100 bis 1400). Vor allem in der Zentralschweiz, in den Kantonen Bern (vor allem im Emmental, Entlebuch und Berner Oberland), Schwyz, den beiden Appenzeller Kantonen, Obwalden und Nidwalden, war und ist es seit je her eine beliebte Freizeitbeschäftigung.

Schwingen ist auch in der Kathedrale von Lausanne auf einem Fresko aus dem 13. Jahrhundert abgebildet. Es ist in der Schweiz ein Nationalsport, wenn auch bei weitem am beliebtesten in der Deutschschweiz und weniger in der Romandie. In der italienisch- und romanischsprachigen Schweiz wird der Sport nur von wenigen Personen ausgeübt.

Der Sport ähnelt dem japanischen Sumo-Ringen, weist aber einige Besonderheiten auf. Die Kleidung ist vorgeschrieben: eine lange Hosen und darüber eine kurze Jutehose, die von der Form her am ehesten einer Windel ähnelt und mit einem Gürtel festgehalten wird.

Nach genau festgelegten Regeln versuchen zwei Kontrahenten, sich innerhalb eines Rings aus Sand gegenseitig zu Boden zu zwingen. Ein Kampfrichter entscheidet, ob die Voraussetzungen für einen Sieg nach den Regeln des Eidgenössischen Schwingerverbandes erfüllt sind.

Steinstossen

Das Steinstossen ist natürlich nicht ausschliesslich schweizerisch, sondern ist so alt wie die griechische Antike. Es ist eine Art Kugelstossen mit Steinen von 20, 40 oder sogar 83,5 kg. Es ist jedoch aussergewöhnlich, dass Steinstossen zu einem Nationalsport geworden ist, auch hier wieder mit einem starken Fokus in der Deutschschweiz.

Die Medaillenzeremonie für Steinstossen und das Spielfeld.

Hornussen

Ein Sonderfall ist das Hornussen. Es ist ebenfalls jahrhundertealt und kombiniert Golf, Cricket und Friesisch-Kaatsen. Es gibt zwei Mannschaften, die Angreifer und die Verteidiger. Die Angreifer müssen eine Scheibe, den sogenannten «Hornuss», aus Kunststoff (früher aus anderem Material) mit einem Gewicht von 78 Gramm und einem Durchmesser von 62 x 32 mm mit einem langen Stock von zwei bis drei Metern, dem «Strecken», vom «Bock» aus, dem Abschlagpunkt einer Plattform, so weit wie möglich schlagen.

Die verteidigende Mannschaft muss versuchen, den Hornuss mit einem 60 x 60 cm grossen Blatt an einem Stock , der «Schindel» zu stoppen. Das Spielfeld kann bis zu dreihundert Meter lang sein.

Die Bezeichnung «Eidgenössischer Hornusserverband» ist etwas irreführend, da es sich fast ausschliesslich um eine deutschsprachige Angelegenheit handelt. Hornussen ist kein obligatorischer Bestandteil des ESAF, Schwingen und Steinstossen hingegen schon. Der nationale Turnverband war früher Teil der ESAF, aber diese Sportart hat längst ihre eigenen nationalen Wettkämpfe organisiert.

Die Medaillenzeremonie für Hornussen mit Bannern von Vereinen mit „Schindel“. Foto: TES.

Organisation

Es handelt sich um das grösste Sportereignis mit ca. 400 000 Besuchern, dem Bau eines riesigen provisorischen Stadions für mehr als 50 000 Zuschauer (!) und einem Festgelände von nicht weniger als 70 Hektar mit Chalets, Partyzelten, Ständen für Merchandise, Sponsoren und zahlreichen Unternehmen und Organisationen, Ställen für Tiere, Zelten für medizinische Versorgung, Restaurants, Bars, VIPS und andere Gästen, Büros für den Kartenverkauf und das Personal, sanitäre Einrichtungen, sowie schön gestalteten hölzernen Wasserbrunnen.

Die lokale Organisation eines Dorfes von der Grösse Prattelns übernimmt die eigentliche Arbeit und ist unter der Schirmherrschaft der nationalen EASF-Organisation für die Durchführung verantwortlich.

Die nationale Meisterschaft in Schwingen

Die ESAF dreht sich hauptsächlich ums Schwingen. Das Schwingen findet im ausverkauften Stadion statt. 280 Schwinger nehmen teil. Die Schwingerinnen hatten in der Woche zuvor ein separates, viel kleineres Turnier. Es besteht noch nicht sehr lange, entwickelt sich jedoch langsam, aber sicher.

Nach mehreren Vorentscheidungen fand am Sonntagnachmittag das Final vor 50 000 Zuschauern im Stadion statt. Eine Million Zuschauer verfolgten das Spektakel zu Hause und via Public Viewing auf dem Festgelände und  an anderen Standorten.

Zweisprachigkeit

Deutsch und Französisch sind die offiziellen Sprachen der Website und der Dokumentation der Organisation der Veranstaltung. Die Kommunikation im  Stadion erfolgt auch auf Französisch und Deutsch. Die Zahl der französischsprachigen Teilnehmer am Wettbewerb beträgt 20 (es gibt 29 Schwinger aus der Romandie, aber von ihnen sind 9 deutschsprachig) und  schätzungsweise 10 000 französischsprachige Schweizer besuchen die Veranstaltung. Es handelt sich also weitgehend um eine deutschsprachige Angelegenheit.

Dennoch findet das ESAF alle 15 Jahre in einem (mehrheitlich) französischsprachigen Kanton statt, zuletzt 2016 im französischsprachigen Estavayer-le-Lac (Kanton Freiburg).

Schlussfolgerung

Kühe und Stiere mögen in den Niederlanden nicht mehr so „woke“ sein, aber am ESAF ist ein Stier der prestigeträchtigste Hauptpreis. Die besten Schwinger des Landes können ausserdem von Sponsoring und Werbeaktivitäten leben. Einige von ihnen werden beinahe schon so vergoldet wie Formel-I-Fahrer.

Pauline Wayne II

Was den unvoreingenommenen Beobachter am meisten beeindruckt, ist (wieder) die lockere Organisation und Atmosphäre, die Fröhlichkeit und die vielen musikalischen Darbietungen, von Disco, Auftritten von Alphörnern, Blaskapellen, Jazz bis hin zu leichterer Tanzmusik bis in den frühen Morgen. Auch die zahlreichen sanitären Anlagen werden regelmässig gereinigt, und es sind ständig Reinigungskräfte anwesend.

Nicht nur Schwingen oder Hornussen sind typisch schweizerisch, nein, die ganze Veranstaltung, die Art des Festens und die Organisation sind Swissness par excellence!